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Musik im Gottesdienst: Wien

Reinhard Strohm
  • Kirchenchoral und „Musik“

    Musik und Gottesdienst standen im Mittelalter in anderer Beziehung zueinander als heute. Obwohl der lateinische Kirchenchoral, wenn er im kirchlichen Ritus gesungen wurde, eine erkennbare musikalische Komponente aufwies, war diese doch dem Vortrag der Worte deutlich untergeordnet. Heute verstehen wir unter „Musik im Gottesdienst“ gewöhnlich eine autonome Betätigung, wie z. B. das Aufführen komponierter, oft auch instrumentaler Werke, oder das einstudierte Singen des Kirchenchors. Ähnliche „hinzuaddierte“ Musik gab es auch im Spätmittelalter – doch mit dem Unterschied, dass sie meist auf den traditionellen Choral bezogen war und von diesem her legitimiert wurde. Im Folgenden sei besonders von denjenigen Darbietungen die Rede, die sich vom Kirchenchoral durch auffallendere oder intensivere Musikalität abhoben, und von einigen musikalischen Aspekten des Choralvortrages selbst. Die Terminologie der untersuchten Dokumente verschleiert allerdings den Unterschied zwischen Kirchenchoral und „Musik“. Mit einer „gesungenen Messe“ („Ambt“) war gewöhnlich nicht die musikalische Gattung des komponierten Messordinariumszyklus gemeint, sondern der Gottesdienst als Ganzer, ob er nun mehrstimmige Gesänge enthielt oder nicht; auch nannte man eine polyphone Vertonung des Salve regina nicht etwa „Motette“, sondern eben (ein) Salve regina.

    Unter „Gottesdienst“ sind nicht nur die grundlegenden Teile des Opus Dei, nämlich Messe und Stundengebet, zu verstehen, sondern auch andere Aktionen wie kirchliche Prozessionen, Weihen und Segnungen, Gottesdienste zu Hochzeiten, Taufen und Begräbnissen. Gottesdienstliche Tätigkeit bedurfte der Autorisierung durch die Kirchenbehörden (dazu gehörte die Genehmigung von Ablässen, Festtagen, neuen Devotionen), der Bestallung von Priestern, der Herrichtung von Altären, Reliquien („Heiltümern“), Messgerät und Gewändern, des Glockenläutens, der Anstellung von Altardienern (Leviten) und Mesnern. Dazu kamen Organisten, Kantoren und Chorschüler, wenn eine musikalisch anspruchsvollere Gestaltung beabsichtigt war. Während die Gehälter der Priester fast immer durch kirchliche Pfründen sichergestellt wurden, die aus frommen Stiftungen stammten, musste die Kirche andere Beteiligte meist aus dem laufenden Einkommen bezahlen, das freilich ebenfalls weitgehend auf Stiftungen und Schenkungen beruhte. Die Rechnungen der Wiener Kirchmeister (bürgerlichen Verwalter) etwa von St. Stephan oder St. Michael weisen solche Ausgaben nach, wobei auch hohe Beträge für Weiheöl, Messwein („Opferwein“) und vor allem Kerzen („Steckkerzen“) ins Auge fallen.

  • Personelle Voraussetzungen der Kirchenmusik

    In Wiener Kirchen und Klöstern[1] war die musikalische Ausgestaltung der Gottesdienste schon im 14. Jahrhundert beliebt und entwickelte sich stürmisch weiter. Entscheidend hierfür waren die Rollen des Kantors, des Organisten und des Schulmeisters. An St. Stephan ist ein Kantor schon 1267 erwähnt, also ein Jahrhundert vor der Erhebung zur Kollegiatkirche im Jahre 1365.[2] Die erste Erwähnung des Orgelspiels am 15. Juni 1334 (zum Fronleichnamsfest, aufgrund einer Stiftung des Pfarrers Heinrich von Luzern) erscheint gegenüber dem vermutlich ersten Gebrauch der Orgel sehr verspätet:[3] „cantantibus in organis et famulis folles calcantibus xxxvi denarios“ (den Orgelspielern und ihren Dienern, die die Blasbälge ziehen, 36 Pfennig).[4] Zwischen 1370 und ca. 1391 gab es an St. Stephan einen Organisten des Namens Meister Peter.[5]

    In den ältesten erhaltenen Kirchenrechnungen der Pfarrkirche St. Michael von 1433 ist ebenfalls ein (nicht namentlich genannter) Organist erwähnt. Zu dieser Zeit gab es an St. Michael bereits zwei Orgeln, eine große und eine kleine, die vom Lettner aus zugänglich war.[6] Eine der Orgeln wurde 1437 “gebessert“ und erhielt 1444 ein Gitter. 1450 wurde Meister Andre, Orgelmeister zu Stein, mit 24 tl. für das Stimmen und eine Reparatur der großen Orgel entlohnt; die gesamten Reparaturkosten in diesem Jahr beliefen sich auf über 66 lb (Kirchmeisterraittung 1450, S. 19). Weitere Reparaturen sind für 1460, 1472, 1480 und 1498 bezeugt; 1474 führte der Maler Hans Kaschauer Malereien an der Orgel aus.[7] Die Funktion des Kantors war an St. Michael 1433 noch mit derjenigen des Schulmeisters in einer Person vereinigt.[8] Es hing in der Tat von den örtlichen Verhältnissen ab, ob Kantor und Schulmeister überhaupt besoldet werden konnten bzw. ob es hierfür eine oder zwei verschiedene Positionen gab. Die Ausschmückung des Gottesdienstes mit Gesang – zusätzlich zum Choralvortrag durch die Priester – war nämlich vor allem die Aufgabe von Schülern, die unter der Leitung ihres Lehrers sangen (» H. Schule, Musik, Kantorei). War eine Schule groß genug, so konnte man Lateinunterricht und Gesangsunterricht auf zwei Instruktoren verteilen – eventuell mit spezialisierter Gesangsausbildung für entsprechend begabte Schüler.

    Wien hatte im späten Mittelalter vier Lateinschulen, die vom Stadtrat verwaltet wurden: an St. Stephan (die „Bürgerschule“, die den anderen drei übergeordnet war), am Schottenkloster, an St. Michael (seit 1352 nachweisbar) und am Bürgerspital (seit 1384).[9] Dass am Schottenkloster auch weltliche Schüler (scolares saeculares) ausgebildet wurden, geht aus einer Reformverordnung von 1431 hervor, die ihnen die Teilnahme am Chorgebet verbot und ihre Ausbildung außerhalb des Klosters anordnete.[10] Das Entgegengesetzte dürfte also vorher praktiziert worden sein. Bereits am 5. Februar 1310 war die Mitwirkung von Klosterschülern an der Vigil (Matutin) einer Jahrtagsstiftung vorgeschrieben, worauf deren Ausbildung Rücksicht zu nehmen hatte. Die Mitwirkung von Schülern an der Vigil wurde 1330 bestätigt.[11] In der Amtszeit des letzten Schottenabtes, Thomas (1403–1418), soll eine „Musikschule mit einem eigenen Chormeister“ errichtet worden sein; für 1413 ist ein „Sanggeselle“ aus Pulkau erwähnt.[12] 1418 wurde der neue Abt, Nicolaus von Respitz, von den Visitatoren feierlich eingeführt, unter Beteiligung des Schulrektors, des „succentor“ oder „Junkmaister“ (siehe auch » E. Bozen), also Helfer des Schulkantors, der andernorts auch „subcantor“ oder „Junger“ genannt wurde (vgl. Kap. Hermann Edlerawer und der Kantoreibau) und der Schüler.[13] Belege für die Mitgestaltung von Gottesdiensten durch Schüler – meistens aus frommen Stiftungen finanziert – liegen ferner auch für die private „Otto und Haimsche“ Rathauskapelle vor. Nachdem diese unter Kaplan Jacob (der) Poll 1360–1361 umgebaut worden war, verpflichteten Stiftungen der Jahre 1367–1373 vier arme Schüler, die Priester werden wollten, zum Singen in der Kapelle.[14] An der Peterskapelle gab es 1412 und 1420 Stipendien für vier arme Schüler, die beim Gesang mithelfen sollten.[15] Der Kaplan sollte die tägliche Messe lesen, jedoch außerdem „vier Schüler haben, die zu singen helffen waz zu singen not ist in derselben sand Peters capelln“.[16] Offenbar standen für diese Messen keine anderen Priester zur Verfügung, die den Gesangschor bilden konnten. Die Schüler mussten außerdem bei den Vigilien den Psalter lesen; jeder sollte jährlich 1 tl. erhalten – ein beträchtliches Einkommen.[17] Auch an der privaten Philipp- und Jakobskapelle im Kölnerhof (Klosterneuburgerhof) sollten einer Stiftung von 1395 zufolge vier Schüler in der Osterwoche den Psalter lesen.

    Der erste urkundliche Beleg für den Schulmeister der Stephansschule stammt von 1237, also 30 Jahre vor der ersten Erwähnung des Kantors, dessen Stelle offenbar von der Schulmeisterfunktion abgezweigt wurde.[18] Seit der Gründung des Kollegiatstifts zu St. Stephan durch Herzog Rudolf IV. (bestätigt 1365) war der Stephanskantor (der „Sangherr“) ein leitendes Mitglied des Kapitels (canonicus). Davon zu unterscheiden ist die Funktion des Kantors der Bürgerschule, der dem Schulmeister unterstellt war und vom Stadtrat sowie aus Stiftungen entlohnt wurde (vgl. Kap. Entwicklung der Kantorei von St. Stephan).[19]

  • Die institutionelle Grundlage des Stephanskapitels

    Die Errichtung des Kollegiatkapitels zu St. Stephan durch Herzog Rudolf IV. war Teil einer längeren Bemühung der österreichischen Herrscher um die Nobilitierung ihrer bedeutendsten Weltkirche.[20] Bereits im 14. Jahrhundert wurde die Kirche „der thumb“ oder „die thumkirchen“ genannt; zum Bischofssitz wurde sie erst 1469 bestimmt und 1480 tatsächlich als solcher eingerichtet. Das Kollegiatkapitel, gewidmet allen Heiligen und Engeln, war bereits seit 1358 von Rudolf IV. entworfen und von Papst Innocenz VI. bestätigt worden. Nach Ansicht vieler Historiker war dies ursprünglich eine Stiftung für Herzog Rudolfs fürstliches Pfalzkapitel und eigene Grablege in der Hofburgkapelle, die 1365 nach St. Stephan übertragen wurde.[21] Jedoch zeigt Viktor Flieder, dass ein Kapitel in der Hofburgkapelle nie bestanden hat und die Gründung von Anfang an für St. Stephan intendiert war.[22] Die Gottesdienste des Stephanskapitels sind in einer herzoglichen Jahrtagsstiftung vom 28. März 1363 beschrieben; diese bildete, auf der Grundlage des Passauer Diözesanritus, den Ausgangspunkt der weiteren liturgisch-musikalischen Entwicklung der Kirche.[23] Herzog Rudolf schuf hier 25 Präbenden für Chorherren (Kanoniker), von denen einer als Probst die prepositura innehatte. Drei andere leitende Ämter waren der decanatus (Dechant), die thesauraria (Kämmerer, Küster) und die cantoria (Kantor, Sangherr). Ferner gab es 25 (später 26) Präbenden für Kapläne. Der „Chormeister“ (magister chori), der in der rudolfinischen Stiftung nicht genannt ist, war der Senior der mit Seelsorge betrauten Priester (octonarii: Achter).[24] Seine Funktion ist von der des Kantors klar unterscheidbar. [25]

  • Herzog Rudolfs Vorschriften für die Gottesdienste an St. Stephan

    Die Jahrtagsstiftung Rudolfs IV. von 1363 sieht drei tägliche Messen („Ämter“) auf den Hauptaltären des Kapitels vor: eine Marienmesse am Morgen auf dem Marienaltar, ein Hochamt auf dem Fronleichnamsaltar über der fürstlichen Grablege (im Mittelchor), und die Messe des Tages auf dem Fronaltar (Hochaltar).[26] Die Zeremonien – Öffnung der Altarbildtafeln, Ausstellung der Heiltümer, Anzünden von Kerzen, Prozession mit Fahnen, Kreuz und Windlichtern, Glockenläuten – waren nach dem Festrang differenziert; an den Festen derjenigen Heiligen, die in der Kirche bestattet waren, sollte die Orgel zu Vesper und Hochamt spielen und mit der „großen und kleinen Glocke“ geläutet werden. An Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Allerheiligen, Kirchweih, Fronleichnam gab es mehr Kerzen (allein 24 auf dem Herzogsgrab). Man musste alles Heiltum (Reliquien) auf den Altar stellen und „überall die kirchen zieren mit der schonsten gezierd so si habent“. Alle Tagzeiten (Stundengebete) sowie die tägliche Messe sollte man „singen in der Orgel“, und zur Messe läuten mit allen Glocken, „so man schönste mag“. Am Fronleichnamstag wurden alle verfügbaren Reliquien, Fahnen, Baldachine, 30 Kerzen und 10 Windlichter in der Stadt umhergetragen; an dieser Prozession teilnehmen mussten alle Pfarrer, Klosterleute, Kapläne, alle Priester sowohl aus der Stadt als auch den Vorstädten, einschließlich der Deutschherren von St. Johann, der „Heiliggeister“ und „Spitaler“. Sie sollten „mit all irr Schönesten gezierd, die sie habent“, nach St. Stephan kommen und mit der Prozession umgehen.[27]

    Im „großen“ Stiftbrief vom 16. März 1365 (zur Unterscheidung vom „kleinen“ Stiftbrief desselben Datums) werden die Pflichten und Gehälter der Ausführenden sowie die zugrundeliegenden Besitzrechte genauer aufgeschlüsselt.[28] Hauptzweck der gesamten Stiftung blieb das Totengedächtnis für den Herzog und seine Familie. Eine besondere Pfründe diente zur Entlohnung der Priester mit Speise und Trank, „dass sie den Jahrtag unseres Todes begehen“.[29]

    Dazu kamen Kleiderordnungen, die Festlegung der Standorte der Priesterschaft in der Kirche und die Verteilung der Messen auf Probst, Chorherren und Kapläne. Das Quantitative war von großer Bedeutung: Der Dechant musste darauf achten, dass in der Kirche täglich insgesamt 51 Messen gesungen oder gesprochen wurden, wovon keine ausgelassen werden durfte. Sicher wurde die Mehrzahl nur gesprochen. Jedoch gab es auch Vorschriften für Gesang und Orgel. Am Ende der Tagzeiten, die „mit lauter und hoher Stimm“ zu singen waren, sollte „mit einem hellen Gesang“ eine Marienantiphon erklingen, die nach Vesper, Mette und Non die Antiphon Salve regina war. Auch die drei täglichen Messen auf den Hauptaltären sollten mit „lauter und hoher Stimm“ gesungen werden.[30] Für die Messen wurde die Mitwirkung von Schülern verlangt: 24 bei zwei täglichen Hochämtern, mindestens 13 bei den anderen Hochämtern und Vespern. Die „Meister, Studenten und Schuller“ hatten an den Prozessionen von acht Hauptfesten teilzunehmen: Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Allerheiligen, Allerseelen, Mariae Scheidung (Himmelfahrt), Fronleichnam und dem herzoglichen Jahrtag. Hier musste „der Schullmeister der grossen Schull mit ganzer Universitaet […] bey sein und helfen zu singen und umzugehen“.[31] Wichtig war dem Stifter, dass alle dabei waren, einschließlich der soeben gestifteten Universität. Die Beteiligung der Universitätsmitglieder an den Prozessionen war gleichsam Teil der Stiftung selbst (vgl. Kap. Kirche und Universität).

    Die Pflichten des Kantors umschreibt der Stiftbrief folgendermaßen:
    „Er soll auch innhaben die Orgell und damit orden[tlichen] göttlichen Dienst zu begehen und achten, dass das Gesang zu göttlichen Dienst ordentlichen, gänzlichen und löblichen vollbracht werde, so man immer pest [am besten] und schenst [am schönsten] mag [kann], wann des unser Erlöser, der allmächtig Gott wohl werth ist, und soll auch die Processe [Prozessionen] richten und ordnen, dass die allzeit ordentlichen vollbracht werde.“[32]
    Bei den Prozessionen unterscheidet der Stifter genau zwischen solchen, die in der Kirche bleiben und solchen, die „in die Statt“ gehen (vgl. » A. SL Prozessionen).

  • Reformierende Dienstordnungen an St. Stephan

    Eine neue, lateinische Ordnung der Dienste an St. Stephan (20. März 1436) wurde von den Visitatoren verfasst, die im Zuge der Melker Klosterreform (» A. Melker Reform) auch die Kapitelkirche untersuchten.[33] Die Aufgaben der Pröbste, Dechanten, Küster und Kantoren sind hier eindeutiger beschrieben als in den unsystematischer formulierten, deutschsprachigen Stiftbriefen Herzog Rudolfs. Für die musikalischen Dienste wurden Vorschriften des Basler Konzils übernommen (» F. Konzilien), darunter das anderweitig bekannte Verbot, den Vortrag des Credo in unum Deum abzukürzen (was in mehrstimmigen Kompositionen oft der Fall war). Hinsichtlich St. Stephan verboten die Visitatoren während der Messen im Mittelchor das Singen von Messen oder Vigilien in den beiden Seitenchören („ne tempore publici officii in choro Missae cum nota, aut vigiliae in lateribus chori decantentur“); letztere durften nur an anderen Orten, die weit genug entfernt seien, und nur mit „submissa voce“ (zurückgehaltener Stimme) gesungen werden.[34] Die Hymnen und Psalmen des Stundengebets sollten mit Pausen in der Mitte der Verse und mit tiefer, nicht zu lauter Stimme vorgetragen werden.[35] Dies könnte als Gegensatz zu der „hellen und lauten“ Stimme der rudolfinischen Verordnungen aufgefasst werden – wo freilich von Antiphonen die Rede ist. Die Begriffe „submissa voce“ und „bassa voce“ (mit tiefer Stimme) erscheinen auch in einer Kapitelverordnung von 1478, die die Gottesdienste in der Fastenzeit betrifft: Dieser zufolge waren Prim und Terz  einschließlich der Antiphon bis zur Elevation in der Marienmesse „submissa voce“ zu singen, ein vor der Terz eingeschobenes Requiem jedoch „bassa voce“.[36]

  • Kirche und Universität

    Zugleich mit seiner Gründung des herzoglichen Universitätskollegs (Collegium ducale) verlieh Herzog Albrecht III. im Jahre 1384 der jungen Universität einen wichtigen Zugang zu den Präbenden der Stephanskirche, indem er acht der zwölf Professoren des Collegiums Anwartschaften auf dortige Kanonikate versprach. Schon Rudolf IV. hatte auch die Personalunion des Universitätskanzlers mit dem Stiftpropst bestimmt.[37] Gottesdienste der Universität in Wiener Kirchen und die Teilnahme von Universitätsmitgliedern an Prozessionen wurden ebenfalls festgelegt, wie bereits in der rudolfinischen Stiftung (vgl. Kap. Herzog Rudolfs Vorschriften für die Gottesdienste an St. Stephan). Den Statuten entsprechend nahm die gesamte Korporation an den Festen des hl. Gregorius (12. März)[38] und des hl. Benedikt (21. März) im Schottenkloster teil, seit 1472 auch am Fest des hl. Augustinus (28. August) in der Augustinerkirche. Patron der Universität war der hl. Georg, an dessen Festtag (23. April) Dekanatswahlen und Promotionsrituale stattfanden.[39] Seit 1385 führte die Universität an den Marienfesten feierliche Prozessionen aus, die zu bestimmten Kirchen und Klöstern führten: Lichtmesse am 2. Februar (St. Stephan), Mariae Verkündigung am 25. März (Dominikaner), Mariae Himmelfahrt am 15. August (Karmeliter), Mariae Geburt am 8. September (Schotten), Mariae Empfängnis am 8. Dezember (Maria am Gestade) und seit 1389 auch Mariae Heimsuchung am 2. Juli (Dominikaner).[40] Die einzelnen Fakultäten zelebrierten Jahresfeste zu Ehren ihrer besonderen Schutzheiligen. Die Theologen feierten den Apostel Johannes (27. Dezember) in der Dominikanerkirche; die Artisten die hl. Katharina von Alexandrien (25. November) an St. Stephan; die Juristen hatten seit 1429 ihr Jahresfest für St. Ivo in ihrer Fakultätskapelle, die Mediziner ihr Fest für St. Cosmas und Damian (27. September) an St. Stephan.[41] Zum Medizinerfest wurde eine Prozession mit den Reliquien der Heiligen veranstaltet; an der Messfeier waren 1436, 1465 und in vielen späteren Jahren Kantor und Organist sowie „Leviten“ (Chorschüler) von St. Stephan beteiligt.[42] „Cantores“ wirkten auch spätestens seit 1412 beim Katharinenfest der Artisten mit. Selbstverständlich wurden akademische Gottesdienste auch zu anderen Anlässen gehalten und mit Gesang ausgestattet, so vor allem zu den Patronatsfesten der verschiedenen „Nationen“.[43]

  • Musikalische Stiftungen bis ca. 1420

    Die Ausgestaltung und musikalische Entwicklung der Gottesdienste an Wiener Kirchen erschließt sich aus dreierlei Dokumentengruppen: Stiftbriefen, Verwaltungsakten (z. B. Rechnungen) und Dienstordnungen (libri ordinarii). Die zeitliche Orientierung dieser Quellentypen ist sehr verschieden: Während Stiftbriefe die Zukunft auf ewige Zeiten bestimmen wollen, reflektieren Verwaltungsakten eher die von Jahr zu Jahr wechselnden Verhältnisse; Dienstordnungen versuchen festzuschreiben, was bereits geltenden Rang beansprucht und weiter gelten soll. [44]

    Der Wortlaut von Stiftungsurkunden beruht gewöhnlich auf Traditionen, die weit in die Zeit vor 1363 zurückgehen. Tägliche und wöchentliche Messen, auch wenn sie gesungen wurden, enthielten selten besondere musikalische Einlagen. Die konventionellste Art einer gottesdienstlichen Stiftung war der „Jahrtag“ (anniversarium), ein jährliches Totengedenken. Er umfasste eine Vigil (Matutin) in der Nacht zuvor, ein Seelamt (Requiem) am Morgen und danach ein Hochamt am Todestag des Stifters. In seinem Stiftbrief vom 28.10.1339 versprach Jans der Sture, Kaplan des Fronleichnamsaltars zu St. Stephan, für die Feier seines Jahrtags dem Pfarrer 60 d., acht „Chorherren“ [45] zusammen 1 tl. (240 d.), jedem der vier Vikare 24 d., dem Schulmeister, dem Mesner und dem Küster je 24 d., dem Kantor 12 d., jedem der vier Chorschüler 12 d., sowie 60 d. zum Glockenläuten und ½ tl. (120 d.) für Kerzenwachs. Außerdem sollten 24 Priester nachts bei der Vigil anwesend sein sowie am Morgen das Requiem sprechen, wofür sie je 20 d. bekamen.[46] (» Abb. Chorstiftung 1339)

     

     

    Der von Kantor und Schülern gesungene Teil eines solchen Gottesdienstes wird in den Quellen zwar nie genau identifiziert, doch waren es wie andernorts wahrscheinlich vor allem Psalmverse, Responsoriumsverse und bestimmte Antiphonen (im Stundengebet) sowie Alleluiaverse und Sequenzen (in der Messe). Die Schüler konnten zusammen mit den Priestern sicher auch chorische Abschnitte singen.

    Nach 1363/1365 gab es an St. Stephan zwei Kantoren, den traditionellen der Pfarrschule und den neuen des Kapitels (vgl. Kap. Personelle Voraussetzungen der Kirchenmusik). Sie werden z. B. in einer Jahrtagsstiftung vom 27. September 1378 separat genannt.[47] Hier bestätigen die Chorherren von St. Stephan, einschließlich ihres Kantors Bartholomaeus, die Jahrtagsstiftung des Bürgers Lienhard der Poll (als Zeuge erscheint Jacob der Poll, Kaplan der Rathauskapelle). Außer den fünf Kaplänen, die das Stundengebet singen und jeweils 35 d. erhalten, bekommen vier „Chorschüler“ je 18 d., der Schulmeister 32 d., der Kantor 24 d., der Accusator (Schulgehilfe oder Pedell) 14 d., der Küster 16 d., die Knechte, die den Altar herrichten, 16 d. und die Mesnerknechte, die die Glocken läuten, für ihren Wein 6 [kleine] Schilling (= 72 d.). Der Kantor, der nach dem Schulmeister genannt ist und geringer entlohnt wird, ist der Schulkantor; der Kapitelkantor Bartholomaeus ist Mitautor der Urkunde.

    In der testamentarischen Stiftung des Medizinprofessors Niclas von Herbestorff (25. Mai 1420) für eine wöchentliche Messe zum hl. Kreuz wurde unter Kapitelkantor Ulreich Musterer festgelegt, dass der Introitus Nos autem gloriari und die Sequenz Laudes crucis attollamus „mit der not“ zu singen seien, d. h. anhand der Notation des Graduale. [48] Die genannten Gesänge gehörten zu den Festtagen des hl. Kreuzes (3. Mai und 14. September). Das Singen der (vollständigen) Sequenz war offenbar eine besondere Aufgabe, auch wenn von Mehrstimmigkeit hier nicht die Rede ist.

    Stiftungsurkunden verlangen oft die Mitwirkung der Orgel, wie auch die rudolfinische Stiftung. Am 19. August 1402 verspricht z. B. Dorothe, Witwe des Jörg Pallnhaymer, dem „Orgelmaister“ (hier: Organisten) für die Messe 24 d., dem Kantor ebenfalls 24 d. und den vier Chorschülern je 12 d. [49]

    In einer umfangreichen Stiftung der Brüder Rudolf und Ludweig von Tyrna für die von ihrer Familie begründete Tirna- oder Morandus-Kapelle (28. März 1403)[50] werden keine Schüler oder Kantoren verlangt, nur die Orgel. Ein Hauptpunkt der Stiftung ist jedoch die Einrichtung eines sonntäglichen Salve regina in der Fastenzeit. Die hochbeliebte Marienantiphon hatte keinen ganz festen Platz in den rituellen Traditionen; hier ist wohl eine „Zugabe“ am Ende der Marienvesper oder der Komplet gemeint, ähnlich wie schon in den Stiftbriefen Rudolfs IV. Isolierte Stiftungen des Salve regina, wie z. B. diejenige des nachmaligen Wiener Bürgers Heinrich Franck in Bozen (» E. Kap. Das Salve regina des Rats), 1400, wurden im Lauf der Jahre zu Gelegenheiten für polyphones Singen.

  • Kirchen- und Stadtrechnungen

    Die Kirchenrechnungen von St. Stephan sind erst ab 1404 und nur lückenhaft erhalten, diejenigen von St. Michael erst ab 1433.[51] Hier gibt es manche Ausgaben zur Besoldung musikalischer Dienste. An St. Michael waren bereits 1433 Organist und Schulmeister fest installierte Ämter; zusätzlich taucht seit 1444 ein Kantor („Chorschuler“) auf.[52] An St. Stephan erhielt der Kantor ab 1404 jährlich ½ tl. (120 d.) für das Singen der „chlag“, nämlich der Lamentationen Jeremiahs am Karfreitag (» A. Osterfeier, Kap. Die Finstermette an Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag).[53] Ebenfalls in der Karwoche wurde, wie weithin üblich, der gesamte Psalter vorgetragen. Hierzu setzte man (unter Leitung des Accusators) 12 Schüler ein, von denen jeder 36 d. erhielt. Außerdem gab man ihnen ein Frühstück um 26 d. 1420 und 1422 wurde das Frühstück auch „zwei Hütern bei dem grab“ spendiert.[54] Diese beiden Karwochendienste haben lange Texte, die nicht melodisch, sondern rezitierend vorzutragen waren. Die besondere Feierlichkeit und Mühe der Einstudierung wurden belohnt, nicht etwa eine musikalische Ausgestaltung. Viele Ausgaben des Kirchmeisters von St. Stephan galten dem „Singen in“ (oder auf) „der Orgel“, wie man das Orgelspiel nannte. Der Organist erhielt für das Spielen auf der „kleinen Orgel“ jährlich 3 tl. Sicher war diese ein Positiv, das in der Kirche verschoben werden konnte, denn wesentliche Aufgaben (und zusätzliche Einkünfte) für den Organisten ergaben sich aus Stiftungen, die verschiedene Altäre betrafen.[55] Auch für das Stimmen[56] und kleinere Reparaturen an dieser Orgel wurde der Organist bezahlt. Bei Prozessionen in der Stadt blieb der Organist in der Kirche, wo er zum Stationsgottesdienst spielte. Besonders bezahlt wurde er, wenn er „in der großen Orgel zu singen“ hatte,[57] nämlich an den Festtagen Aschermittwoch („Faschantag“), Christi Himmelfahrt, Dienstag vor Pfingsten, Pfingsten, Sonnwendtag (24. Juni), St. Peterstag (22. Februar). Dies waren offenbar populäre Gottesdienste. Das Orgelspiel könnte (wie anderswo) auch alternierend mit dem Chor der Priester und Schüler erklungen sein. Dass der Organist gregorianische Gesänge spielte, erschließt sich u. a. aus einer Zahlung von 8 s. an den Organisten Hanns „umb ain Gradual“ (1407), das er wahrscheinlich gekauft hatte.[58]

    Die Wiener Stadtrechnungen[59] belegen das festliche Orgelspiel zur Messe auch bei Veranstaltungen des Magistrats (» E. Städtisches Musikleben). Eine Orgel stand wahrscheinlich im Rathaus zur Verfügung; da kein eigentlicher Rats-Organist erwähnt ist, wurden wohl immer Kirchenorganisten herangezogen. In den 1420er Jahren bezahlte der Stadtrat dem Organisten von St. Stephan einen Jahreslohn von 8 tl. und registrierte ihn unter den städtischen Dienstleuten, wie auch den „Orgelmaister“ (damals Jörg Beheim), der 6 tl. erhielt. Dies sollte nicht so bleiben: 1436 wurde vermerkt, fortan solle der Kirchmeister den Organisten „von der kirchen gut ausrichten“ (aus dem Kirchenfond bezahlen); [60] es gab aber weiterhin vereinzelte jährliche Zahlungen von je 60 d. für das „Orgelschlagen zum Te Deum“. Davon abgesehen, lebte der Stephansorganist nun von seinem Gehalt aus dem Kirchmeisteramt (3 tl. für das Spiel auf der „kleinen Orgel“) und seinen vielen festlichen Spielverpflichtungen für Kirche und Stadtrat (» E. Städtisches Musikleben).

  • Tropen und andere Randerscheinungen im ordo von St. Stephan

    Der kompakte Band » A-Wn Cod. 4712 der Österreichischen Nationalbibliothek ist bezeichnet als „ordo sive breviarium“ (Ordnung bzw. Abkürzung). Darin wird der gottesdienstliche Ritus von St. Stephan, wie in einem solchen Liber ordinarius üblich, stark verkürzt beschrieben: mit Incipits und Rubriken statt der vollen Texte.[61] Auch sind nur die Gottesdienste des Kapitels angeführt, nicht diejenigen der Pfarrei und der vielen Altäre und Kapellen, die privat bestiftet waren. Der um 1400 geschriebene Haupttext (fol. 1–107) vermittelt im Wesentlichen die Passauer Diözesanliturgie, die in den Pfarreien Wiens galt. Zahlreiche Randanmerkungen der folgenden Jahrzehnte erläutern die Weiterentwicklungen des Ritus und dessen spezifische Ausübung in Wien. Z. B. erklärt eine Randnotiz (fol. 9v) beim Fest des hl. Stephan (26. Dezember), es werde (am Vorabend) keine Komplet gesungen, sondern stattdessen „dem Klerus und dem Volke gepredigt“ (fit sermo ad clerum et ad populum). Zum Introitus der Messe am Stephanstag selbst sieht der Haupttext ungenannte Tropen vor, darunter vielleicht den im Seckauer Cantionarius von 1345 (» A-Gu Cod. 756) notierten Introitustropus De Stephani roseo sanguine martirii vernant primicie (Aus Stephans rosenrotem Blut blühen die ersten Erntegaben des Martyriums).[62] Auch zum Fest der Unschuldigen Kinder (28. Dezember), zu Epiphanias (6. Januar) und zu anderen Festen des Jahres gibt es Messtropen; keiner davon ist im gedruckten » Graduale Pataviense von 1511 mehr überliefert.

    Die Orgel ist in der Dienstordnung von A-Wn Cod. 4712 oft mitbedacht, besonders bei den Marienmessen (z. B. fol. 28v). Vielleicht war der Hauptstandort der kleinen Orgel am Liebfrauenaltar im (nördlichen) Marienchor.

    Ein längerer Nachtrag auf fol. 35v informiert, dass entsprechend einer Verordnung des Passauer Bischofs Georg von Hachloch (Hohenlohe) vom 12. November 1404 einmal wöchentlich das ganze Stundengebet (Officium diurnum et nocturnum) für den Passauer Diözesanpatron St. Stephan feierlich mit neun Lesungen zelebriert werden soll. Eine zweite Hand fügt hinzu, diese Verordnung sei am 1. Juni 1411 im Wiener Stephanskapitel feierlich von der Kanzel verlesen worden.[63]

    Speziell zu Wiener Gebräuchen erklärt eine Anmerkung (fol. 50r), dass in der Oktave des Osterfestes der Dedikationsritus von St. Stephan gesungen werde, womit der Sonntag nach Ostern (Quasimodogeniti) gleichsam zum zweiten Kirchweihfest wurde. Auch wurde das „Heiltum“, die Sammlung aller der Kirche gehörigen Reliquien, an diesem Sonntag dem Volke gezeigt, seit 1483 auf dem eigens dafür erbauten „Heiltumsstuhl“ vor der Kirche (» Abb. Wiener Heiltumstuhl; » F. Lokalheilige). Am Samstag davor wurde das Kirchweihfest der Tirnakapelle (Nachtrag auf fol. 50r) begangen.

    Dass auch in Wien in der Osterfeier (» A. Osterfeier) volkssprachliche Gesänge vorkamen, belegen Erwähnungen von „Volksrufen“ im Haupttext (vgl. »Abb. Vociferationes populi an St. Stephan). Weitere Rufe des Volkes waren für die Litanei der Bittprozession vorgesehen (vgl. Kap. Prozessionen von St. Stephan).

     

     

    Hochinteressant ist eine isolierte Erwähnung mehrstimmigen Gesanges im Haupttext (fol. 54r), die auch in anderen Exemplaren des Passauer Liber ordinarius zu finden ist und somit in der ganzen Diözese galt (freundliche Mitteilung von Robert Klugseder). In der Messe des 5. Sonntags nach Ostern (Vocem iucunditatis) wurde die Sequenz Laudes salvatori gesungen, „die angenehm mit Discantus beendet werden soll“ (que iocunde cum discantu finiatur). Es handelt sich hier um Notkers Prosa Laudes salvatori zum Ostersonntag, die erst das Konzil von Trient im 16. Jahrhundert ganz durch Victime paschali laudes ersetzen konnte. Isaac komponierte im 2. Band seines Choralis Constantinus (» G. Henricus Isaac) eine Ostersequenz, in der Laudes salvatori (beginnend mit dem 2. Vers, Et devotis melodiis), Victime paschali und sogar die Antiphon Regina celi letare miteinander kombiniert sind. Man muss fragen, warum nur an einem vergleichsweise unwichtigen Sonntag[64] so eine musikalische Ausschmückung vorgeschrieben wurde, wenn sie doch zu anderen Festen, wie z. B. Ostern, mindestens ebenso gut gepasst hätte. Laudes salvatori wurde auch am Ostersonntag gesungen (fol. 48v). Machte der ordo hier etwas verbindlich, das an anderen Tagen ad libitum geschehen konnte? Es sei die Lösung vorgeschlagen, dass dieser besondere mehrstimmige Beitrag, der wohl von den Priestern ausgeführt wurde (Kantor, Schulmeister oder Schüler sind nicht erwähnt), auf eine vielleicht schon alte Passauer Stiftung zurückging und als besonders ehrwürdig erachtet wurde. Die hier gemeinte Art des Discantus könnte dann jener Mehrstimmigkeit entsprochen haben, von der es in der Region zahlreiche Zeugnisse aus Klöstern gibt (» A. Klösterliche Mehrstimmigkeit).[65]

  • Prozessionen von St. Stephan

    Die Bittprozessionen (oder Rogationsprozessionen) der 5. Woche nach Ostern schlossen die Osterfestzeit und das zweite Quatember (Viertel) des Kirchenjahres ab. Der Stephansklerus ging am Montag, Dienstag und Mittwoch dieser Woche mit Priestern und Diakonen, die Reliquien, Fahnen und Kreuze trugen, auf Bittprozessionen, die in » A-Wn Cod. 4712, fol. 54r–55r, beschrieben sind.[66] Jedes Mal wurden zuerst die Antiphon Exsurge und der Psalmvers Salvum me fac gesungen, danach sprach der Zelebrant das Gebet In eternum familie tue intercedente beato stephano, gefolgt von der Antiphon Surgite sancti. Dabei ging die Prozession aus der Kirche hinaus, doch bei Regen („si tempus fit pluviosum“) nur durch die Schülerzeche (Schulhaus) und über den Friedhof („claustrum“) in die Krypta („per czecham per claustrum in criptam“); es folgten zwei weitere Antiphonen, auf die das Laienvolk seine Rufe beisteuern sollte („et layci habeant vociferaciones suas“). Bei gutem Wetter hingegen („si tempus serenum fuerit“) ging man in die „untere Stadt“ nach St. Maria, dem Schottenkloster. Beim Erreichen der Pfarrkirche St. Michael war das Reponsorium Te sanctum dominum zu singen, dann beim Eintritt in das Schottenkloster das Responsorium Salve nobilis virga. Hier feierte man die für den Tag vorgeschriebene Messe, unmittelbar gefolgt von der Litanei („nota officium letanie“, fol. 54v). Gleich nach dem Benedicamus domino der Messe begann der Praecentor die Litanei mit Aufer a nobis iniquitatem, gefolgt vom Kyrie eleison des Laienvolkes („layci subiungant kyrieleison“); der Klerus sang Miserere, miserere, wieder beantwortet von den Laien mit Kyrieleison. Der Chor setzte ein mit Sancta Maria ora pro nobis ad dominum, wiederum von den Laien mit Kyrieleison beantwortet, und so fort. Der Inhalt der Litanei musste der Länge des Weges angepasst werden, der von hier aus zurückführte, nachdem noch einmal bei den Schotten Station gemacht worden war. Entsprechend einer Randbemerkung (fol. 55r) nahm man am Dienstag den Hinweg über St. Michael und das Kloster St. Magdalena vor dem Schottentor, den Rückweg aber über das Karmeliterkloster (Am Hof) und St. Peter.

    Eine besondere Rolle spielte St. Michael in der umfassenderen Prozession des Palmsonntags (fol. 38v–40v). Beim Vorübergehen an St. Michael („pretereuntes ecclesiam sancti michahel“) sang man zunächst das Responsorium Te sanctum dominum, beim Eintritt in die Kirche das Responsorium Salve nobilis, beantwortet vom „Chor der Frauen“ („Chorus dominarum“) mit dem Vers Odor tuus. Die Sängerinnen waren sicher die teilnehmenden Klosterfrauen. Ein zweites Responsorium, Ingressus pylatus, wurde wieder von den Frauen mit dem Vers Tunc ait illis beantwortet, der Chor der Mönche („chorus dominorum“) wiederholte das Responsorium. In dieser respondierenden Art zwischen Frauen und Männern ging es weiter während der gesamten Prozession, der Weihe der Palmzweige und der Messe im Schottenkloster, sowie auf dem Rückweg von dort über den Bischofshof („curia episcopi“, Maria am Gestade), wo eine Station mit respondierenden Frauen- und Männerchören gemacht wurde. Dann sollten zwei Knaben in Chorröcken die Palmzweige streuen und ein verschleiertes Kreuz tragen, das noch während der Prozession, zum Singen der Antiphon Pueri hebreorum und anderer passender Gesänge, enthüllt wurde. Fast könnte der Leser des ordo übersehen, dass vor der Ankunft bei Maria am Gestade auch wieder das Laienvolk eine „vociferatio“ einfügen durfte (fol. 39r), die vielleicht dem Palmsonntagshymnus Gloria, laus et honor entsprach.

  • Entwicklung der Kantorei von St. Stephan

    Der Name „Cantorey“ bezog sich als Übersetzung des lat. „cantoria“ ursprünglich nur auf das Amt des Kantors einer Dom- oder Kollegiatkirche, wurde aber in Wien spätestens ab 1403 auch für die musikpflegende Institution gebraucht, die in Klöstern von alters her „schola cantorum“ hieß. So konnte nun „Cantorey“ auch das musizierende Ensemble unter Leitung des Kantors oder Schulmeisters bezeichnen, oder gar den Ort, an dem es sich regelmäßig zusammenfand. Eine Urkunde von St. Stephan vom 6. September 1403 nennt den Kantor „Petrenn cantor zu sand stephan und kaplan der messe auf sand dorotheen altar der zur cantorey gehört“;[67] in zwei Urkunden von 1404 erscheint er als „Peter der Hofmaister die Zeit cantor dacz sand Stephan und Kappelan sand Dorotheen altar in der Schuler zech“.[68] Die Kirchmeisterrechnung von 1404 registriert umfangreiche Ausbesserungsarbeiten (Holz, Nägel, Gerätschaft und Arbeitslohn) für die „cantorey auf dem letter“.[69] Somit befand sich damals die Kantorei – als physischer Ort – auf dem Lettner der Kirche, einem galerieartigen Bauwerk zwischen Hochchor und Kirchenschiff; als Institution war sie eine Altarpräbende für den Kantor, die auf den Dorotheenaltar[70] in der Schülerzeche (Schulhaus) gestiftet war, und als persönliche Funktion gehörte sie dem mehrfach belegten Kantor Peter (Hofmaister). Er war als Kaplan kein „bürgerlicher Kantor“,  jedoch war er nicht der Kapitelkantor (der als Chorherr die rudolfinische Präbende bezog), sondern der Schulkantor.[71] Die Wohnung des Schulkantors befand sich auf dem Stephansfriedhof in der Nähe des Schulhauses bzw. im Schulhaus selbst. Die Schulkantorei wurde bis 1440 weitgehend aus Altarpräbenden und anderen Stiftungen finanziert, sowie den Einkünften vom Stadtrat für das Singen der „chlag“ (vgl. Kap. Kirchen- und Stadtrechnungen). Stiftungsurkunden existieren vom 7. April 1421 über 8 tl. jährlich zugunsten der der Kantorei zugehörigen Messe, vom 5. Mai 1445 über 6 tl. für den „Verweser“ (Verwalter) der Kantorei und von 1449 über 12 tl. 4 s. ebenfalls für die Kantorei.[72] Eine verlässliche Chronologie der Schulkantoren ist bisher noch nicht erstellt worden, da die Unterscheidung zwischen Kapitelkantor und Schulkantor meist vernachlässigt wurde.[73] Bisher sind folgende Schulkantoren namentlich bekannt: Peter Hofmeister (1403/04), Johann von Neuburg (1405),[74] Sigmund Kunigswieser (1430), Peter der Marolt (gest. 1444),[75] Hermann Edlerawer (1440–1444?), Conrad Lindenfels (1449–vor 1457), Thomas List (1463–1467), Hans Payr (1469–1485), Wolfgang Goppinger (1486–1492).[76]

  • Hermann Edlerawer und der Kantoreibau

    Hermann Edlerawer aus der Diözese Mainz (» G. Hermann Edlerawer) kam spätestens 1413/1414 nach Wien, als er sich an der Universität immatrikulierte. Seit den 1420er Jahren diente er König Sigismund, danach bis mindestens 29. April 1437 Herzog Albrecht V. Am 27. Jänner 1436 siegelte er eine Urkunde als „Amtmann und Grundschreiber des Schottenklosters“.[77] In den Jahren 1440–1444 ist er als Schulkantor von St. Stephan belegt (er könnte das Amt allerdings schon seit 1438 und bis gegen 1449 ausgeübt haben; Nachweise dafür fehlen). Seine Karriere war untypisch für einen damaligen Kirchenmusiker. In den Wiener Stadtrechnungen scheint er zum ersten Mal 1438 auf, als der Rat „dem hermanne“ 10 tl. ausbezahlen ließ.[78] Da kein Schulkantor vorher so viel Gehalt vom Stadtrat bekommen hatte, betraf dies vielleicht eine besondere städtische Veranstaltung (vgl. Kap. Musikalische Dienste der Kantorei seit ca. 1440) oder eine Rückerstattung von Ausgaben. 1440 erstattete man „hermanne cantori“ ausdrücklich zur „pawhilf (Bauhilfe) seiner cantorey“ 20 tl. und 1441 noch einmal 12 tl.[79]

    Bis gegen 1440 dürfte sich der Musikunterricht des Schulkantors meistens in der Schule abgespielt haben. Anderswo in Europa waren Lettner zwar durchaus für musikalische Aufführungen gedacht und oftmals Standort einer kleineren Orgel, doch war an St. Stephan der Platz auf dem Lettner sehr durch andere Messen sowie Bauarbeiten behindert.[80] Das gottesdienstliche Singen hatte an den jeweils vorgeschriebenen Stellen zu erfolgen – auch im Hochchor – während für die Altäre am Lettner derzeit keine Stiftungen mit Kantoreibeteiligung bekannt sind.

    Das Kantoreihaus – als Wohnung und Arbeitstätte des Kantors – wird erstmalig in einer Urkunde von 1438 genannt.[81] Es war kein freistehendes Gebäude, sondern seitlich an die Magdalenenkapelle auf dem Stephansfriedhof angebaut (» Abb. Kantorei und Magdalenenkapelle). Die Magdalenenkapelle war der Oberstock des Neuen Karners, der 1304 über der alten Virgil- oder Erasmuskapelle an der Ecke des Stephansfriedhofes errichtet worden war. Die Kapelle gehörte der Wiener Schreiberzeche, also der Bruderschaft der städtischen Beamten (» E. Städtisches Musikleben; » E. Kap. Musikergenossenschaften).

     

    Abb. Kantorei und Magdalenenkapelle

    Kantorei und Magdalenenkapelle

    Ausschnitt einer Stadtansicht Wiens mit St. Stephan (kolorierter Stich, Jacob Hoefnagel, 1609); rechts des Stephansdoms ist die Magdalenenkapelle mit dem seitlich angebauten zweigiebeligen Kantoreihaus zu sehen (direkt rechts daneben: Nr. „18“).

    © Wien Museum. Inv. Nr. 31043.

     

    Dass Hermann Edlerawer den Neubau bzw. Weiterbau der Kantorei persönlich verantwortete, ist u. a. aus einer städtischen Streitsache vom 5. November 1440 ersichtlich: Wie schon in der erwähnten Urkunde von 1438 festgestellt, grenzte das Kantoreigebäude an die Friedhofsmauer, auf deren anderer Seite das Haus des Apothekers Nicolas Laynbacher stand. Laynbacher verklagte den Kantor nun wegen des Regenwassers, das vom Ziegeldach der Kantorei auf sein Anwesen herunterlief. Das Urteil fiel zugunsten Edlerawers aus, da das Kantoreidach nicht über die Friedhofsmauer hinausreiche und diese selbst Besitz der Kirche sei.[82]

    Zuvor hatte die Kantorei noch kein eigenes Gebäude außerhalb der Kirche gehabt; der Gesang wurde in der Schule oder der Kirche selbst einstudiert, störend neben den anderen Tätigkeiten. Nunmehr konnten geeignete Schüler auf Gesangsaufgaben in einem eigens dafür vorgesehenen Gebäude vorbereitet werden. Diesen Vorteil bestätigte die 1446 durch den Stadtrat erlassene Ordnung der Bürgerschule (» E. Städtisches Musikleben): Sie erlaubte dem Kantor, die geeigneten Schüler zum Singen aus der Schule herauszuholen (aber nur vor dem Mittagessen) und nicht immer alle zusammen für alle Gesangsdienste, sondern jeweils verschiedene Gruppen. Dafür entzog sie ihm und seinem „subcantor“ den Unterrichtsraum („locatei“) in der Schule, wo die Singschüler vorher zusammen unterwiesen worden waren, ungeachtet ihres Ausbildungsstandes („irer begrifflichait“), was zur „irrung des kors“ geführt hatte. Da Kantor und Subkantor (Helfer des Schulkantors; vgl. Kap. Personelle Voraussetzungen der Kirchenmusik) aber ja nicht nur Musik zu lehren hatten, sollte einer von ihnen für die anderen Unterrichtsstunden nach dem Mittagessen in der Schule bleiben. Wichtig ist die abschließende Empfehlung, dass der Kantor die Knaben in seinem Haus behalten könne, wenn ihm die Regelung nicht passe.[83]

    „Item furbaser sol der kantor kain sundere locacein in der schul haben, als es auch vor jarnn gewesen ist. Wann er und ein subcantor von irrung des kors dieselben nicht wol verpesen [verbessern] mugen, sunder all schuler, die der cantor hat, sol man seczen nach gelegenhait irer begrifflichait, und wenn er sein schuler zu dem kor nuzen wil, so mag er sew vodern [anfordern]. Auch mugen im die locatenn ander knaben zuschickchenn, die fugsam sein zu dem kor, doch also das ein austailung werde der knaben, also das sy nicht all zu allen ambten geen, sunder yetz ain tail, darnach einn ander tail zu einem andern ambt. Darumb sol der cantor und sein subcantor gehorsam tun, und sullen vor essens alain dem kor wartenn. Aber nach essens sol ir ainer stetlich in der schul beleiben und den obristen locaten helffen zu lernen die schuler. Wer [Wäre es] aber, das die vorgeschrieben weis von dem cantor nicht fugsam dewcht sein [als passend empfunden wird], so halt der cantor sein knaben in seinem haws fur sich selber.“ [84]

    So war nicht nur ein geeigneter Proberaum für Musik geschaffen, sondern auch eine bauliche Demonstration der Bedeutung des Kirchengesangs durch die Kantorei und gleichzeitig der Bedeutung von Hermann Edlerawers Rolle als Kantor. Es gibt im sonstigen damaligen Europa kaum Belege für eigene Kantoreihäuser. Doch nicht zufällig wurde auch am Schottenkloster, wo Edlerawer 1436 als Verwalter gewirkt hatte, unter Abt Martin von Leibitz (1446–1461) in den Jahren 1446–1449 eine „Singstube“ gebaut.[85]

  • Musikalische Dienste der Kantorei seit ca. 1440

    Die musikalischen Dienste der Stephanskantorei wuchsen unter Edlerawer erheblich an. Während vor 1440 nicht einmal zum Te deum an öffentlichen Festen die Mitwirkung der Singschüler erfordert war, sondern nur die des Organisten, gab es seit ca. 1440 und bis ins 16. Jahrhundert hinein folgende Arten von Gottesdiensten der Stadtverwaltung mit dem Schulkantor:

    • Ein „Amt von der hl. Dreifaltigkeit“, seit 1438 bezeugt; es wurde z. B. 1440 zu Verhandlungen des Rats mit königlichen Abgesandten in Hainburg gesungen, und zu ähnlichen einmaligen Anlässen;[86]
    • „Fridämter“ (wohl Bittgottesdienste), oft über einen längeren Zeitraum hinweg wöchentlich gefeierte städtische Messen jeden Mittwoch für politische Zwecke; sie wurden von der Kantorei mit Orgel und Glockengeläut ausgeführt;[87]
    • Festmessen am Freitag vor Reminiscere (2. Fastensonntag) zur Zusammenkunft der Bürger, Prälaten und Landstände;[88]
    • „Votiff“-Messen zu politischen Anlässen, wie z. B. bei der Abreise von König Friedrich in das Reich 1444, über 12 Wochen hinweg bis zum 11. November jeden Mittwoch;[89]
    • Ämter „vom hl. Geist“, später ebenfalls „Votiff“ genannt, die jährlich zur Einführung des neugewählten Stadtrats zelebriert wurden;[90]
    • seit 1459 war das Singen des Responsoriums Tenebrae an jedem Freitag Aufgabe des Kantors und der Chorschüler, zum Geläut der Salve-Regina-Glocke.[91]

    Ein vielleicht besonderes Ereignis feierte man zu Reminiscere 1444, als Hermann Edlerawer „den Prälaten von der Stadt und von außerhalb der Stadt gedient“ hatte und für „diese Ehrung“ auf Weisung des Rats 10 tl. erhielt (dieselbe Summe wie in der Stadtrechnung von 1438, vgl. Kap. Hermann Edlerawer und der Kantoreibau).[92]

    Es fragt sich noch, welche Dienste an St. Stephan selbst gehalten wurden und welche vielleicht im Rathaus (zu letzteren könnte die „Ehrung“ der Landstände an Reminiscere gehören), im letzteren Fall was davon in der Rathauskapelle abgehalten wurde und wo die meistens beteiligte Orgel gespielt wurde. Ebenso wie die Universität war der Stadtrat bemüht, seine politisch-repräsentative Rolle so viel und oft wie möglich in der Kapitelkirche geltend zu machen, wodurch St. Stephan gleichsam zur Ratskirche wurde. Edlerawer war aufgrund seiner doppelten Qualifizierung als städtischer Beamter und Musiker ein entscheidendes Verbindungsglied.

  • Die Sakramentsstiftung König Friedrichs III.

    Im Jahre 1445 fiel der Stephanskantorei mit einer Stiftung Friedrichs III. die vielleicht bekannteste Aufgabe ihrer frühen Geschichte zu, an der neben Klerikern von St. Stephan auch solche von St. Michael beteiligt waren. Diese königliche Stiftung betraf nicht wie früher oftmals angenommen eine „Fronleichnamsprozession“,[93] sondern die traditionellen priesterlichen Versehgänge mit dem Sakrament zu kranken Gemeindemitgliedern in- und außerhalb der Stadt. Nunmehr sollten bei jedem Gang vier arme Knaben (Almosener) mitgehen, die in braune Chorröcke und Kapuzen gekleidet waren; sie sollten vier Glöckchen, zwei Fähnchen und zwei verglaste Laternen mit brennenden Kerzen mit sich tragen und den Hymnus Pange lingua sowie das Responsorium Homo quidam fecit cenam magnam „hin und wider“ (auf dem Hin- und Rückweg) singen. Im Chor der Kirche sollten außerdem beim täglichen Fronamt zwei Schüler den Vers Tantum ergo sacramentum (aus dem Hymnus Pange lingua) oder Ecce panis angelorum (aus der Sequenz Lauda Sion salvatorem) anstimmen, der dann vom Schülerchor ausgesungen werden sollte (vgl. auch » E. Überlieferung der Wiener Kirchenmusik).

    Und damit alles „dester [umso] löblicher und ordenlicher volbracht werde“, sollten 32 Chorröcke und Kapuzen, 32 Fähnchen mit den österreichischen Farben (rot-weiß-rot) und 16 verglaste Laternen bereitgehalten und bei Bedarf repariert bzw. neu angefertigt werden. Diese stellte der Stifter zur Verfügung; die Stadt musste die Instandhaltung der Kleidung und Geräte bezahlen.[94] Natürlich gingen nicht bei jedem der Gänge – deren Zahl ja mit dem Bedarf schwankte – 32 Knaben mit, sondern jeweils nur vier. Das Stiftungseinkommen wurde der Stadt vom König als Steuererlass auf die Schatz- oder „Hofsteuer“ übertragen und belief sich auf jährlich zwischen 44 und 54 tl., von denen der Kantor von St. Stephan gewöhnlich zwischen 40 und 47 tl., der Küster von St. Michael (fürs Glockenläuten) zwischen 4 und 7 tl. erhielt. Friedrich III. richtete ähnliche Stiftungen zwischen 1441 und 1467 auch in Graz, Laibach, Wiener Neustadt und Linz ein.[95] In Bozen entstand eine ähnliche Stiftung wohl 1463 und ist seit 1472 belegt (» E. Bozen, Kap. Fronleichnams-Umgang).

  • Die Kantorei nach Edlerawer

    Es ist unsicher, inwieweit Hermann Edlerawer (» G. Hermann Edlerawer) noch am Zustandekommen der Sakramentsstiftung Friedrichs III. beteiligt war; jedenfalls hatte er ab 1445 viel in der städtischen Kanzlei zu tun.[96] Er übernahm städtische Funktionen wie Dienstreisen sowie Aufgaben für den Hof und die Universität. Als die Ausbezahlung seines städtischen Gehalts 1449 eingestellt wurde (er wurde nur noch für zwei Vierteljahre bezahlt), war es wohl nicht mehr für Kantoreidienste gedacht.[97] Die Stelle des Schulkantors ging zwischen 1445 und 1449 auf Conrad Lindenfels über, der erstmalig in einer Urkunde vom 13. November 1449 als Kantor zu St. Stephan erwähnt ist. 1457 erhielt Lindenfels eine nachträgliche Vergütung für „fridämter“ als „weilent“, d. h. ausgeschiedener, Kantor.[98] 1479 wurde er hingegen Chorherr und Kantor der Kirche (was beweist, dass seine vorherige Anstellung die des Schulkantors gewesen war); er starb 1488.[99]

    In der Schulordnung der Bürgerschule von 1446 (» H. Schule, Musik, Kantorei) stehen Bestimmungen für einen Subkantor; dieses Amt bekräftigte der Stadtrat 1461 mit der Errichtung einer „locatei“, d. h. einer Unterrichtsstelle, in der Schule für den Subkantor, der dort die Knaben Gesang lehren sollte – unter Zurücknahme der Schulordnung von 1446. Dafür wurden sogar zwei Chorpulte (pulpidum) durch den Tischler angefertigt.[100] Im Kantoreihaus selbst hatte man schon 1457 eine „Tafel zum notirn“ aufgestellt und einen Maler „darauf zu malen“ (offenbar der Notenlinien) beauftragt.[101]

    Aufgrund einer testamentarischen Schenkung von Ulreich Metzleinsdorfer vom Jahre 1458 (A-Wda, Urkunde 14580930) wurde als Aufgabe des Kantors von St. Stephan eine wöchentliche Marienmesse eingerichtet; diese könnte in der Rathauskapelle zu Unser Lieben Frau gehalten worden und musikalisch bedeutsam gewesen sein; das entsprechende Einkommen des Kantors war jährlich 8 tl.[102]

    Seit spätestens 1478 wurde dem Schulkantor wieder ein städtisches Grundgehalt von jährlich 12 tl. zugesprochen, so lange er keine priesterliche Präbende hatte („dieweil er kain beneficium hab zur Besserung seines solds“).[103] Diese auch „Compactat“ genannte Vereinbarung war mindestens bis zum Jahrhundertende in Kraft. Wahrscheinlich reflektiert sie die gestiegenen musikalischen Anforderungen an die Kantorei.

  • Die Kantoreiordnung von 1460 und die Pflege der Mehrstimmigkeit

    Die Wiener städtische Kantoreiordnung für St. Stephan vom 24. September 1460 (für Einzelheiten vgl. » H. Schule, Musik, Kantorei) [104] folgte der städtischen Schulordnung von 1446 in ähnlicher Weise nach wie in der Geschichte der Ämter selbst die Kantorenstelle (1267) der Schulmeisterstelle (1237). Man leitete von einem umfassenderen Schema ein detaillierteres ab. Solche Dienstordnungen sind vor allem auf ihre Position innerhalb zeitlicher Kontinuitäten zu befragen: Welche Neuerungen führen sie ein oder wehren sie ab, welche Traditionen bekräftigen oder bekämpfen sie?[105] Sicher war die Wiener Kantoreiordnung Teil einer überregionalen Tendenz der Kirchenverwaltungen, neueren Ansprüchen der Musikpflege regulativ zu begegnen und somit einschränkend oder nur vorsichtig ermutigend zu wirken. Die Kantoreiordnung widmet sich neben der Schuldisziplin und -organisation auch dem musikalischen Repertoire, das offenbar in Frage gestellt werden konnte. Die Ausbildung aller Schüler sollte in „cantus gregorianus“ und „conducten“ erfolgen. Der gregorianische Gesang war in der Kirche nach festen Verteilungsregeln auszuführen. Mit „conducten“ waren geistliche Lieder gemeint, die die armen Schüler zu Festzeiten gegen Geld vor den Häusern sangen. (» E. Bozen; » H. Children’s processions) Im Unterschied dazu sollten sanglich geeignete Schüler im „cantus figurativus“ (d. h. Mehrstimmigkeit) ausgebildet werden. Und mehrstimmiges Singen wurde von ihnen nun für die Hochfeste Weihnachten, Ostern und Pfingsten verlangt. Es ist deutlich, dass die Kantoreiordnung hier nicht eine voraussetzungslose Neuigkeit einführen, sondern einen bestehenden Zustand regulieren wollte: die Praxis mehrstimmigen Singens, die wohl schon seit Jahren (spätestens seit Edlerawer) ausgeübt wurde. Ihr Wildwuchs sollte nun eher eingedämmt werden, etwa indem nur noch die wirklich begabten Schüler dazu ausgebildet wurden. Die 1457 im Kantoreigebäude aufgestellte Tafel lässt sich als Lernmittel für mehrstimmigen Gesang und Mensuralnotation interpretieren, während die 1461 in der Schule aufgestellten zwei Lesepulte, mit denen der Subkantor unterrichtete, dem „einfachen“ gregorianischen Gesang (cantus planus) dienten, der ja auch in der Kirche von Chorpulten gesungen wurde.

    Polyphones Repertoire gab es an der Bürgerschule schon um 1410–1420, doch war es damals fast ausschließlich ausländischer Herkunft und wurde von einer Elite gepflegt » K. Der Wiener Codex von ca. 1415. Edlerawers Wirken jedoch markiert eine Phase breiten Sammelns und eigenen Herstellens mehrstimmiger Musikstücke für die repräsentativen Aufgaben der Kantorei. Alle erhaltenen und zugeschriebenen Kompositionen Edlerawers sind in einer einzigen musikalischen Quelle, dem „St. Emmeram-Codex“ (» D-Mbs Clm 14274), überliefert; dieser wurde in Wien während seiner Amtszeit als Kantor zumindest begonnen (» E. Überlieferung der Wiener Kirchenmusik). So scheint es, dass der Kantor auf die Anfertigung dieser Sammlung Einfluss nahm und dass seine dort notierten Stücke seine musikalischen Kirchendienste an St. Stephan widerspiegeln. Mehr noch, sie definieren die musikalischen Fähigkeiten des von ihm ausgebildeten Schülerchors – vielleicht in der Weise, dass nicht alle Stücke für alle Chorschüler gedacht waren und dass es verschiedene Abstufungen und Gruppierungen der Fähigkeiten gab. Das wäre ein Prinzip, das für die allgemeinen Unterrichtsfächer auch die Schulordnung von 1446 verfolgte.

    Die Kantoreiordnung verfestigte die Einteilung der Schülergruppen in „Allgemeinmusiker“ und Polyphonie-Spezialisten. Da „cantus figurativus“ seinen Namen von den rhythmisch fixierten (mensuralen) Notenformen, den figurae, bezog, wurde ihm z. B. jene nicht-mensural notierte klösterliche Mehrstimmigkeit (» A. Klösterliche Mehrstimmigkeit. Arten) die unter dem Namen „Discantus“ auch an St. Stephan bezeugt ist (vgl. Kap. Tropen und andere Randerscheinungen im ordo von St. Stephan), nicht zugerechnet. Nur die figurale, mensurale Mehrstimmigkeit stand also begrifflich und didaktisch für sich, nicht aber die anderen Arten von Mehrstimmigkeit, die vielleicht oft und informell geübt wurden, auch vom allgemeinen Chor. Diese Unterscheidung kann nun auf das Bücherinventar der Kantorei von 1476 übertragen werden. Denn der zufällig aus diesem Jahr erhaltene Einzelband der Kirchmeisterrechnungen von St. Stephan[106] zählt auf (fol. 184v–185r):
    „die puecher, so der cantor hat in der cantorei:
    In dem kar [Chor]: ain Gradual, ain Salve puech, ain Passional.
    In dem haus: zwai Gradual, zwen antiphonarii, dreu grosse Cancional des Hermans, ain gross Cancional des Jacobem, sechs klaine Cancional, ain rats Cancional mit ettlichen sexstern [diese sechs Worte sind durchgestrichen], ain rats Cancional des Jacobem, ain alts Cancional mit ettlichen Sextern, klaine puechl mit proficein, das register des cantor.”

    Die drei großen Kantionalien sind gewiss auf Hermann Edlerawer zu beziehen, das große und das rote „des Jacobem“ hingegen auf Jacob Gressing von Fladnitz, den vormaligen Rektor der Bürgerschule.[107] Die ihnen zugewiesenen, d. h. offenbar von ihnen persönlich betreuten Bücher sind ausnahmslos als „Cancional“ bezeichnet und so von den Choralhandschriften (Antiphonale, Graduale, Passionale usw.) unterschieden, die z. T. in der Kirche selbst (im Chor) aufbewahrt wurden. Im Jahre 1455 hatte der Trienter Organist Johannes Lupi, der selbst früher in Wien studiert hatte, seine sechs Bücher umfassenden „cantionalia vel figuratus cantus“ (Kantionalien, d.h. cantus figuratus) der Pfarrkirche in Bozen vermacht, wobei er die Namen „cancionale“ und „figuratus cantus“ in seinem Testament gleichsam synonym verwendete (» G. Johannes Lupi). Akzeptiert man diese Nomenklatur, so können insgesamt fünf große und sechs kleine Bände der Kantoreibibliothek von 1476 mensurale Mehrstimmigkeit enthalten haben – während das einzige weitere Stück, „ain alts Cancional mit ettlichen Sextern“, eben deshalb als „alt“ bezeichnet worden  sein dürfte, weil sein Inhalt nicht mensural war. Es ist ferner zu vermuten, dass das Sammeln und Neukomponieren mensuraler Kirchenmusik nach Edlerawers Weggang nicht aufgehört hatte und dass andere Kantoren und Subkantoren kreativ daran beteiligt waren. Zur Frage der erhaltenen musikalischen Quellen vgl. » E. Überlieferung der Wiener Kirchenmusik.

  • Zwei polyphone Stiftungen

    Bisher sind nur zwei Stiftungen an St. Stephan aus dieser Epoche bekannt, die mit unmissverständlichen Worten mensurale, d.h. kunstvoll mehrstimmige, Musik verlangen: von 1506 und von 1521. Da seit spätestens 1460 solche Musik nicht nur gepflegt wurde, sondern sogar vorgeschrieben war, scheint hier Erklärungsbedarf zu bestehen. Wahrscheinlich wurde auch in gestifteten Gottesdiensten üblicherweise mehrstimmig gesungen – nicht nur an Hochfesten im Hochchor –, aber die beurkundeten Verträge legten sich selten darauf fest. Die hier zu erläuternden Ausnahmen dürften auf besondere musikalische Interessen und Ambitionen ihrer Stifter zurückzuführen sein.

    Dr. Leonhart Wulfing, seit 1479 Kaplan an St. Stephan und später Domherr und Dechant, stiftete 1506 testamentarisch einen Jahrtag am St. Agnestag auf dem St.-Agnesaltar, mit drei Seelenmessen und einem „loblichen gesungen ambt von sannd agnesen mit dem cantor in figurativis und organis“.[108] Die Schutzheilige war Patronin des berühmten Wiener „Himmelpfortklosters“ (auch St. Agnes-Kloster genannt) der Prämonstratenserinnen in der Himmelpfortgasse nahe dem Dom, mit denen vermutlich Beziehungen bestanden.

    Georg Slatkonia (1456–1522), magister capelle Maximilians I. und seit 1513 Bischof von Wien, errichtete 1521 umfangreiche Gedächtnisstiftungen für sich selbst, zu denen bereits seit 1518 finanzielle Vorbereitungen mit Unterstützung des Kaisers gemacht worden waren. Slatkonia stiftete erstens 500 tl. für eine wöchentliche Messe, ein ewiges Licht und einen Jahrtag an seinem im Marienchor unter dem Altar von St. Nicephorus, Primus und Felicianus zu errichtenden Grab (Urkunde vom 18. Juli 1521, A-Wda, Urkunde 15210718), und zweitens 500 rheinische Gulden für eine Messe von Mariae Himmelfahrt. Diese sollte nach dem Requiem des Jahrtags und einer Prozession vom Kantor mit seinen Gesellen und von einem Chorherrn mit der Orgel „in mensuris“ gesungen werden (Urkunde vom 19. Juli 1521: A-Wda, Urkunde 15210719). Dazu kamen zahlreiche Vorschriften für Almosenverteilungen und die Bezahlungen der Priester und Musiker. Offensichtlich wurde mit einer bereits reich entwickelten und verzweigten Musikpflege gerechnet, die um des Berühmtheitsgrades des Stifters willen übertroffen werden sollte.

[3] Mantuani 1907, 209–210. Flotzinger 1995, 89–90. Allgemein zu Orgeln vgl. » C. Orgeln und Orgelmusik.

[4] Mantuani 1907, 209–210, vermutet unter der Bezeichnung „Organist“ einen Orgelbauer, der jedoch „Orgelmaister“ genannt wurde (z.B. „Petrein dem argelmaister 15 tl“ in den Stadtrechnungen von 1380, >> A-Wn Cod. 14234, fol. 39r). Diese Benennung ist als Eindeutschung des Terminus magister organorum zu verstehen.

[5] Irrig schon für 1334 angenommen bei Flotzinger 1995, 90. Zum Schulkantor Peter Hofmaister vgl. Kap. Entwicklung der Kantorei von St. Stephan.

[6] Diese und die folgenden Angaben zu Orgeln an St. Michael nach Perger 1988, 91, und Kirchmeisterraittungen Kollegsarchiv St. Michael.

[7] Zu Hans Kaschauer und seinem Vater Jakob Kaschauer, der zwischen 1445 und 1448 die große Tafel des Hauptaltars malte, vgl. Perger 1988, 84.

[9] Mayer 1880; Schusser 1986, 66, Nr. 31/1 (Richard Perger). Die Universität bestätigte diese Ordnung am 14. April 1411: vgl. Uiblein, Acta Facultatis 13851416, 355.

[10] Rapf 1974, 93.

[11] Mantuani 1907, 289, Anm. 1, nach Hauswirth 1879, 15; Czernin 2011, 59.

[12] Mantuani 1907, 289 f., Anm. 1, nach Hauswirth 1879, 25.

[13] Mantuani 1907, 289, Anm. 1, nach Hauswirth 1879, 29.

[14] Vgl. Lind 1860, 11; Mantuani 1907, 289 f., Anm. 1; Perger/Brauneis 1977, 275.

[15] Mantuani 1907, 289, Anm. 1.

[16] Mayer 1895–1937, Abt. II/Bd. 2, Nr. 1935.

[17] Wiener Stadt- und Landesarchiv, Urkunde 1935, 1412 XI 21; vgl. auch Schusser 1986, 139, Nr. 115.

[19] Einen Versuch der Unterscheidung zwischen Kapitelkantor/Sangherr und Schulkantor/Subkantor unternimmt Mantuani 1907, 287 f.

[21] Grass 1967, besonders 464–467.

[22] Flieder 1968, 140–148, besonders 148.

[23] Ediert bei Ogesser 1779, Anh. X und XI, 77–83. Vgl. Flieder 1968, 155, 158–160.

[24] Ein Statut von 1367 sah vor, dass die Funktionen von „Chormeister“ (magister chori) und Dechant in einer Person vereinigt werden sollten (Göhler 1932/2015, 141 f.), was aber offenbar nicht geschah (Flieder 1968, 173 f.).

[25] Mantuanis (Mantuani 1907, 288) irrige Gleichsetzung von „Chormeister“ mit „Cantor“ ist oft nachgeschrieben worden. Die deutsche Bezeichnung des letzteren war „Sangherr“. Ulreich senior (1365?) war „magister chori et cantor“ (Göhler 1932/2015, 142 und Abb. 11), d. h. die beiden Bezeichnungen waren nicht gleichbedeutend. Vgl. zur korrekten Verwendung der Begriffe Ebenbauer 2005, 14 f. (Chormeister zuständig für die Pfarre), wo jedoch Mantuani ohne Widerspruch zitiert wird.

[26] Zur Lokalisierung der Altäre und Kapellen vgl. Perger/Brauneis 1977, 61–63. Ich danke Prof. Barbara Schedl herzlich für Beratung in dieser Hinsicht.

[27] Ogesser 1779, 80–82. Vgl. die Aufzählung der Prozessionsteilnehmer aus einem Liber ordinarius von St. Stephan (» A-Wn Cod. 4712): » E. SL Fronleichnamsprozession.

[28] Zschokke 1895, 30–46; Flieder 1968, 254–266.

[30] In den kirchlichen Dienstvorschriften wurde traditionell das lateinische Äquivalent „alta voce“ verwendet.

[33] Zschokke 1895, 84–91.

[34] Raimundus Duellius, Miscellanea, Augsburg/Graz 1724, Bd. II, 78 und 82.

[35] „Ne quis eciam nimium voces agitare aut in altum audeat elevare habeatque et cantum Bassum et nimis clamorosum ad medium reducere“. (Zschokke 1985, 89 f.) Vgl. auch Rumbold/Wright 2009, 44.

[36] Erzbischöfliches Diözesanarchiv Wien (A-Wda), Acta Capituli 14461551, Cod. II, fol. 107r.

[37] Grass 1967, 482–487.

[38] Am 12. März 1421 wurden auf Befehl von Herzog Albrecht V. über 200 Wiener Juden in Erdberg verbrannt, wie u. a. der Theologieprofessor Thomas Ebendorfer berichtete (Lhotsky 1967, 370 f.).

[39] Zapke 2015, 87 f.

[40] Gall 1970, 85–86; Flotzinger 2014, 44–47,54 f.

[41] Gall 1970, 34, 86 f.; Zapke 2015, 88 f.

[43] Mantuani 1907, 283 und Anm. 1; Enne 2015, 379 f.

[44] Vgl. Strohm, Ritual, 2014 zum Zeitbewusstsein kirchlicher Bestimmungen.

[45] Unter „Chorherren“ sind hier die „Achter“ (octonarii), die mit Seelsorge betrauten Priester des Priesterkollegiums, zu verstehen.

[46] A-Wda, Urkunde 13391028; siehe . Währung: 1 Pfund (tl.) = 8 große („lange“) Schillinge (s.) = 240 Pfennige (d., denarii).

[47] Camesina 1874, 11, Nr. 36. Die Unterscheidung Kapitelkantor – Schulkantor ist bei Göhler 1932/2015, 228 f., überzeugend nachgewiesen.

[48] A-Wda, Urkunde 14200525; siehe http://monasterium.net/mom/AT-DAW/Urkunden/14200525/charter [02.06.2016].

[49] Camesina 1874, 21, Nr. 94.

[50] Camesina 1874, 21–23, Nr. 96.

[51] Kirchmeisteramtsrechnungen von St. Stephan (im Wiener Stadt- und Landesarchiv), vgl. Uhlirz 1902. Auszüge aus den Raittbüchern von St. Michael bei Schütz 1980.

[52] Schütz 1980, 124. Schütz 1980, 15, setzt irrig den Schulmeister mit einem von zwei Kantoren gleich.

[53] Vgl. Uhlirz 1902, 251 und öfter. Knapp 2004, 268, versteht hierunter eine Marienklage, was vom Ritus her gesehen unwahrscheinlicher ist.

[54] Uhlirz 1902, 364, 384. Das Ostergrab war eine künstlerisch hergestellte Skulptur.

[55] Zu den Standorten der Orgeln vgl. auch Ebenbauer 2005, 40f.

[56] Uhlirz 1902, 337 (1417).

[57] Z. B. 1415: Uhlirz 1902, 299.

[58] Uhlirz 1902, 267 (1407).

[59] Wiener Stadt- und Landesarchiv, 1.1.1. B 1/ Oberkammeramtsrechnung 1. Reihe 1 (1424) usw.: Im Folgenden abgekürzt zu OKAR 1 (1424) usw. (» A-Wsa OKAR 1-55).

[60] A-Wsa OKAR 4 (1436), fol. 25r, und dagegen 60 d. für Te deum OKAR 5 (1438), fol. 62r.

[61] Detailangaben zu » A-Wn Cod. 4712 in Klugseder 2013; vgl. auch » E. SL Fronleichnamsprozession. Den Messritus des Stephanskapitels repräsentiert das heute noch dem Erzbischöflichen Kapitel gehörende „Turs-Missale“ (um 1430 unter Probst Wilhelm von Turs angefertigt), das vor allem kunsthistorisch interessant ist.

[63] Ersterer ist der früheste datierte Nachtrag, so dass der Codex vor 1404 entstanden sein muss.

[64] Der Sonntag Vocem iucunditatis war allerdings St. Koloman gewidmet (» A-Wn Cod. 4712, fol. 54r).

[65] Für mehrstimmige Schlüsse einstimmig vorgetragener Choräle, wie es hier intendiert scheint, gibt es für das 14. Jahrhundert Belege in Frankreich und Italien.

[66] Die Prozessionsbeschreibungen im ursprünglichen Corpus von » A-Wn Cod. 4712, einem Liber ordinarius der Diözese Passau, replizieren wörtlich die Bestimmungen für Passau selbst (freundliche Mitteilung von Robert Klugseder), sind jedoch wegen der gleichartigen kirchlichen Topographie beider Städte auch auf Wien anwendbar. Hinzugefügte Randbemerkungen verdeutlichen die Wegbeschreibungen mit direktem Bezug auf Wien: Klugseder 2013 widmet den auf Wien bezogenen Randbemerkungen von Cod. 4712 ein eigenes Kapitel. (Vgl. auch die digitale Edition des Passauer Liber ordinarius, http://gams.uni-graz.at/o:cantus.passau). Die Fronleichnamsprozession ist in Cod. 4712  nur durch eine kurze Randbemerkung auf fol. 67v vertreten. Im Anhang (fol. 109r) steht hingegen die Teilnehmerliste, die in » E. SL Fronleichnamsprozession ediert ist.

[67] Camesina 1874, 24, Nr. 101.

[68] Camesina 1874, 26, Nr. 113 und 114 (12. und 13. Dezember 1404).

[69] Schusser 1986, 75, Nr. 50 (Lohrmann).

[70] Dass der Dorotheenaltar vor dem Lettner stand (Perger/Brauneis 1977, 61 und Anm. 214), lässt sich aus den Belegen von 1403–1404 nicht ableiten. Die Einkünfte des Altars gehörten „in die Schülerzeche“, womit in diesem Zusammenhang nicht eine „Bruderschaft der Schüler“ gemeint war (Lohrmann in Schusser 1986, 75, Nr. 50), sondern das Schulgebäude selbst.

[71] Nicht zu verwechseln mit einem damaligen (1399) Chorherrn Peter von St. Margrethen.

[72] Mayer 1895–1937, Abt. II/Bd. 2, Nr. 2159 bzw. Nr. 3076. 1449: OKAR 10 (1449), fol. 28v.

[73] Die Angaben bei Brunner 1948 sind teilweise überholt.

[74] Göhler 1932/2015, 228, Nr. 98.

[75] Mayer 1895–1937, Abt. II/Bd. 2, Nr. 2978; eine Erwähnung von „Peter Marold, cantor“ in OKAR 18 (1461), fol. 19v, könnte sich auf einen anderen Kantor dieses Namens beziehen oder rückblickend zu verstehen sein.

[76] Alle außer Neuburg genannt bei Czernin 2011, 87 f. Diese Liste enthält andererseits auch die Kapitelkantoren Ulreich Musterer († 1426), Wolfgang von Knüttelfeld († 1473), Hanns Huber (1474), Brictius (1470er Jahre) und Conrad Lindenfels (1479–1488, er war 1449–1457 Schulkantor gewesen); ein „Kaspar“ (1448) könnte mit dem Chormeister Kaspar Wildhaber (1423/24) identisch sein. Die hinzukommenden Namen bei Flotzinger 2014, 57, Anm. 49, gehören alle „Chormeistern“, die Flotzinger in Anlehnung an Mantuani 1907 und Flieder 1968 irrig mit Kantoren gleichsetzt. Vgl. Kap. Die institutionelle Grundlage des Stephanskapitels.

[77] Melk, Stiftsarchiv, Urkunden (1075–1912), Nr. 1436 I 27.http://monasterium.net/mom/AT-StiAM/archive [02.06.2016].

[78] OKAR 5 (1438), fol. 92r.

[79] OKAR 6 (1440), fol. 98r, bzw. OKAR 7 (1441), fol. 111r.

[80] Letztere Anmerkung nach einer freundlichen Information von Prof. Barbara Schedl, Wien.

[81] Mayer 1895–1937, Abt. II/Bd. 2, Nr. 2656 (3. Juli 1438). Andere, z. T. widersprüchliche Angaben zitiert Ebenbauer 2005, 38 f.

[82] A-Wda, Urkunde 14401105.

[83] Vgl. auch Flotzinger 2014, 56 f.

[85] Mantuani 1907, 289 f., Anm. 1. Zu Martin von Leibitz und seinem Caeremoniale (A-Wn Cod. 4970) vgl. Schusser 1986, 82, Nr. 65, und » A. Melker Reform.

[86] OKAR 6 (1440), fol. 97v. Der Kantor erhielt 60 d.

[87] Z. B. OKAR 7 (1441), fol. 112v (fünf Wochen; von November vor Martini bis Lucia, 13. Dezember).

[88] Z. B. OKAR 8 (1444), fol. 139v. Dazu täglich bis zum Freitag nach Laetare (4. Fastensonntag) insgesamt 24 „fridambt“, wobei „dem hermanne mit den knabn von yedem ambt zu singn“ 32 d. bezahlt wurden.

[89] Z. B. OKAR 8 (1444), fol. 140r. Der Kantor erhielt zu jedem „Votiff“ 21 d. Auch Dechant, Leviten (Ministranten, vermutlich Chorschüler), Mesner und Organist sind genannt.

[90] Z. B. OKAR 9 (1445). Der (ungenannte) Kantor erhielt 3 s. (= 90 d.).

[91] Mayer 1895–1937, Abt. II/Bd. 3, Nr. 3848; Camesina 1874, 92–93, Nr. 437.

[92] OKAR 8 (1444), fol. 37r.

[93] Wie in der älteren Literatur oft angegeben, u. a. in Strohm 1993, 507. Korrigiert bei Rumbold/Wright 2009, 47.

[94] Camesina 1874, 78–80, Nr. 364 (1445 ohne Tagesdatum).

[96] OKAR 9 (1445), fol. 51r; die Stadtrechnungen von 1446–1448 sind verloren. Vgl. Rumbold/Wright 2009, 48–50.

[97] OKAR 10 (1449), fol. 32r.

[98] Mayer 1895–1937, Abt. II/Bd. 2, Nr. 3333 (zu 1449); OKAR 15 (1457), fol. 41r.

[99] Zschokke 1895, 375; Rumbold/Wright 2009, 50–51. Lindenfels machte sich gleich nach seiner Installierung 1479 dadurch unbeliebt, dass er als Kapitelkantor das Recht beanspruchte, seine Chorherrenwohnung noch vor dienstälteren Kanonikern zu wählen (A-Wda, Acta Capituli 14461551, Cod. II, fol. 18r).

[100] OKAR 18 (1461), fol. 82v. Die Gesamtkosten für Tischler und Schlosser (für Eisenriegel zur Sicherung der Chorbücher) betrugen 160 d.

[101] OKAR 15 (1457), fol. 118v. Die Gesamtkosten für Tischler und Maler betrugen 95 d.

[102] OKAR 16 (1458); OKAR 36 (1474), fol. 22r.

[103] OKAR 42 (1478), fol. 32v.

[104] Wortlaut mitgeteilt u. a. bei Mantuani 1907, 285–287; vgl. auch Gruber 1995, 199; Flotzinger 2014, 58 f.

[108] A-Wda, Urkunde 15060119; siehe http://monasterium.net/mom/AT-DAW/Urkunden/15060119/charter [02.06.2016].


Empfohlene Zitierweise:
Reinhard Strohm: „Musik im Gottesdienst. Wien “, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich <https://musical-life.net/essays/musik-im-gottesdienst-wien-st-stephan> (2016).