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Musikalische Dienste der Kantorei seit ca. 1440

Reinhard Strohm

Die musikalischen Dienste der Stephanskantorei wuchsen unter Edlerawer erheblich an. Während vor 1440 nicht einmal zum Te deum an öffentlichen Festen die Mitwirkung der Singschüler erfordert war, sondern nur die des Organisten, gab es seit ca. 1440 und bis ins 16. Jahrhundert hinein folgende Arten von Gottesdiensten der Stadtverwaltung mit dem Schulkantor:

  • Ein „Amt von der hl. Dreifaltigkeit“, seit 1438 bezeugt; es wurde z. B. 1440 zu Verhandlungen des Rats mit königlichen Abgesandten in Hainburg gesungen, und zu ähnlichen einmaligen Anlässen;[86]
  • „Fridämter“ (wohl Bittgottesdienste), oft über einen längeren Zeitraum hinweg wöchentlich gefeierte städtische Messen jeden Mittwoch für politische Zwecke; sie wurden von der Kantorei mit Orgel und Glockengeläut ausgeführt;[87]
  • Festmessen am Freitag vor Reminiscere (2. Fastensonntag) zur Zusammenkunft der Bürger, Prälaten und Landstände;[88]
  • „Votiff“-Messen zu politischen Anlässen, wie z. B. bei der Abreise von König Friedrich in das Reich 1444, über 12 Wochen hinweg bis zum 11. November jeden Mittwoch;[89]
  • Ämter „vom hl. Geist“, später ebenfalls „Votiff“ genannt, die jährlich zur Einführung des neugewählten Stadtrats zelebriert wurden;[90]
  • seit 1459 war das Singen des Responsoriums Tenebrae an jedem Freitag Aufgabe des Kantors und der Chorschüler, zum Geläut der Salve-Regina-Glocke.[91]

Ein vielleicht besonderes Ereignis feierte man zu Reminiscere 1444, als Hermann Edlerawer „den Prälaten von der Stadt und von außerhalb der Stadt gedient“ hatte und für „diese Ehrung“ auf Weisung des Rats 10 tl. erhielt (dieselbe Summe wie in der Stadtrechnung von 1438, vgl. Kap. Hermann Edlerawer und der Kantoreibau).[92]

Es fragt sich noch, welche Dienste an St. Stephan selbst gehalten wurden und welche vielleicht im Rathaus (zu letzteren könnte die „Ehrung“ der Landstände an Reminiscere gehören), im letzteren Fall was davon in der Rathauskapelle abgehalten wurde und wo die meistens beteiligte Orgel gespielt wurde. Ebenso wie die Universität war der Stadtrat bemüht, seine politisch-repräsentative Rolle so viel und oft wie möglich in der Kapitelkirche geltend zu machen, wodurch St. Stephan gleichsam zur Ratskirche wurde. Edlerawer war aufgrund seiner doppelten Qualifizierung als städtischer Beamter und Musiker ein entscheidendes Verbindungsglied.

[86] OKAR 6 (1440), fol. 97v. Der Kantor erhielt 60 d.

[87] Z. B. OKAR 7 (1441), fol. 112v (fünf Wochen; von November vor Martini bis Lucia, 13. Dezember).

[88] Z. B. OKAR 8 (1444), fol. 139v. Dazu täglich bis zum Freitag nach Laetare (4. Fastensonntag) insgesamt 24 „fridambt“, wobei „dem hermanne mit den knabn von yedem ambt zu singn“ 32 d. bezahlt wurden.

[89] Z. B. OKAR 8 (1444), fol. 140r. Der Kantor erhielt zu jedem „Votiff“ 21 d. Auch Dechant, Leviten (Ministranten, vermutlich Chorschüler), Mesner und Organist sind genannt.

[90] Z. B. OKAR 9 (1445). Der (ungenannte) Kantor erhielt 3 s. (= 90 d.).

[91] Mayer 1895–1937, Abt. II/Bd. 3, Nr. 3848; Camesina 1874, 92–93, Nr. 437.

[92] OKAR 8 (1444), fol. 37r.