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Messen für den Rat, Bankette für die Kirche

Reinhard Strohm

In den Wiener Stadtrechnungen von 1444[7] heißt es:

“Item dem hermanne, als man bey dem egenannten” (zuvor genannten) “tag Reminiscere beyeinander gewesen ist, darczu er den prelaten den vonn Steten und sunder” (außerhalb) “der stat gedint hat, für diese erung haben wir geben ex jussu consilii 10tl. d.” (1444, fol. 37r).

“Item als die lantschaft zu dem tag reminiscere hie beieinander gewesen ist, hat man gesungen zu derselben zeit 24 fridambt per 54d. facit 5tl. 3s. 6d. […]”

“Item dem hermanne mit den knaben von yedem ambt zu singen 32d. facit 3tl. 48d. […]”

 “Item dem mesner davon zu leuten per 6d. facit 4s. 24d.” (1444, fol. 139v).[8]

Vom Sonntag Reminiscere (2. Fastensonntag) an, als der Stadtrat mit den kirchlichen Würdenträgern Wiens und anderer Städte, den Vertretern des Adels und der Wiener Bürgerschaft seinen jährlichen “Landtag” (Ständeversammlung) hielt,[9] bis zum Freitag nach dem Sonntag Laetare (4. Fastensonntag) wurden 24 Messen pro pace (Friedämter) gesungen. Dafür wurde der Schulkantor von St. Stephan, Hermann Edlerawer, mit den Chorknaben herangezogen (» E. Kap. Musikalische Dienste der Kantorei). Wahrscheinlich wurden an den drei Sonntagen und am letzten Freitag je zwei Messen zelebriert, an allen anderen Tagen eine. Die Priester erhielten 54d. pro Messe, die Musiker 32d., der Mesner 6d. Am letzten Tag dieses Zeitabschnitts – Freitag nach Laetare – veranstaltete der Stadtrat ein Fest, an dem Prälaten und Bürger teilnahmen.

Seit etwa 1440, als Hermann Edlerawer die Kantorei an der Stephansschule leitete, wurden immer regelmäßiger Gottesdienste für städtische Zeremonien und Feste vom Stadtrat von seinen Sängern verlangt und bezahlt. Außer den erwähnten Festmessen für Landtage, bei denen Bürgerschaft und Landstände zusammenkamen, finanzierte der Stadtrat, wie hier gezeigt werden kann, die jährlichen Einsetzungsfeiern für die neuen Stadtratsmitglieder (Messen vom hl. Geist), daneben Votivmessen, Bitt- und Dankmessen sowie damit verbundene Prozessionen für politische und militärische Ereignisse oder Krisensituationen.

Diese Entwicklung muss dem Wunsch vieler Bürger entsprochen haben, ihre sozialen Interessen auch im kirchlichen Ritus zu verankern und sich dadurch den Beistand Gottes zu erwerben. Die Ratsmessen und -prozessionen sollten gleichzeitig durch ihre zeremonielle Gestaltung die städtische Macht innerhalb der Kirche selbst demonstrieren. Die Verbundenheit von Stadt, Kirche und Dynastie wird durch das Stadtwappen am Rathaus symbolisiert (» Abb. Wiener Stadtwappen am Rathaus).

 

Abb. Wiener Stadtwappen am Rathaus

Abb. Wiener Stadtwappen am Rathaus

Steinplastik des 15. Jahrhunderts am alten Wiener Rathaus, Ecke Wipplingerstraße/Stoß im Himmel. Die beiden Wappen des Hauses Österreich und der Stadt Wien sind fest zusammengekettet und von himmlischen Mächten beschützt (Foto: R. Strohm). Eine spätere Form des Stadtwappens enthielt den kaiserlichen Doppeladler, auf Grund eines Wappenbriefes Friedrichs III. für Wien, 1461 (vgl. Csendes/Opll 2001, Abb. 30).

Die Ratsgottesdienste dürften zumeist an St. Stephan gehalten worden sein. Ob die hinter dem Rathaus (Wipplingerstraße) gelegene „Ott und Haimsche“ Marienkapelle, später Salvatorkapelle genannt, damals für Ratsgottesdienste benutzt wurde, scheint nicht bekannt. Auch zur Frage eines eigentlichen Rats-Organisten besteht Forschungsbedarf, zumal die Stadt oft und regelmäßig für die Dienste von Organisten aufkam, vor allem für das Spielen des Te deum laudamus bei öffentlichen Feiern (» E. Musik im Gottesdienst).

Selbstverständlich feierte man im Wiener Rathaus auch religiöse Feste. Die vom Rat subventionierte Fronleichnamsprozession war in mancher Weise eine Selbstdarstellung der städtischen Autorität selbst. Bankette, höchstwahrscheinlich mit Musikunterhaltung, wurden im Rathaus – in Wien ebenso wie in anderen Städten – in Verbindung mit der Fronleichnamsprozession abgehalten. Eine Salzburger Gewohnheit war offenbar das Bankett im Rathaus in der Oktave des Fronleichnamsfestes (am „achten gots leichnams tag“):

“Item das mal im rathaws des achten gots leichnams tag sc. zu sechs tischen zwin mal des morgns und snachts … 19 fl. 0s. 0d.” (1486, fol. 25r);

“Item das mal im rathaws achten gots leichnams tag 3 tische smorgens zweieinhalb snachts 16fl. 4s. 16 1/2d.” (1487, fol. 27r).[10]

Vielleicht waren diese Bankette – je zwei an den genannten Tagen – eine teilweise karitative Veranstaltung, mit Armentisch im Rathaus.

[7] Wiener Stadt- und Landesarchiv (A-Wsa), 1.1.1. B 1/ Oberkammeramtsrechnung 1. Reihe, 1- (1424-) hier abgekürzt OKAR 1 (1424), usw. Belege aus den Oberkammeramtsrechnungen (Stadtrechnungen) Wiens werden hier im Haupttext ohne Fußnote als “1444, fol. 37r” usw. zitiert.

[8] Währung: 1 Pfund (tl.) = 8 große („lange“) Schillinge (s.) = 240 Pfennige (d., denarii).

[9] Der Sonntag Reminiscere (“Erinnere dich”) diente in vielen Städten – neben Wien u.a. Hall i.T., Salzburg, Wels – als Jahresbeginn der öffentlichen Verwaltung; er war Stichtag für den Beginn von Ratsperioden sowie für Anstellungen an Schule und Kirche.

[10] Archiv der Stadt Salzburg (A-Ss BU 263), Kammeramtsrechnung 1486-1488, fol. 25r und 27r. “fl.” = (Rheinischer) Gulden, dessen Wert um 10s. lag.