Sie sind hier

Lieder für König Lassla

Reinhard Strohm

Wie viele andere Fürsten wurde Ladislaus Postumus nicht nur instrumental und mit kirchlichen Zeremonien gefeiert, sondern auch in Liedern, die die Ereignisse seines kurzen Lebens (1440–1457) poetisch umrankten. Der Gattungsname “historische Volkslieder” für solche Dichtungen wird heute eher vermieden: Sie stammten von engagierten Zeitgenossen, besonders auch der höheren Stände, wurden allerdings in vielen Varianten “unter die Leute gebracht”, konnten zum Teil auf bekannte Melodien abgesungen werden und blieben oft lange im Bewusstsein.[25] Zu Lasslas Begrüßung in Wien gibt es mindestens zwei Gedichte (oder Liedtexte), deren eines in einer Brüsseler Handschrift zusammen mit Chronikeinträgen Liebhard Egkenvelders aufgezeichnet ist (» Abb. Begrüßungsgedichte der Wiener für König Lassla, 1452).

 
Carmen pro ingressu Regis Ladislai Wienne compositum (Lied, verfasst für den Empfang von König Ladislaus in Wien):
“Lob sey dem herren jesu crist, zu aller frist,
seind das nu ist, mit frid so mynnichleichen,
Kunig Lasla her zu uns gesannt, in seine lanndt,
frid sey bechannt
dem armen und dem reichen.”

 (+ 2 weitere Strophen).

Darunter steht ein lateinisches Gedicht in mehr schlecht als recht geschmiedeten, teilweise gereimten (leoninischen) Hexametern, das sich ironisch (“ein König, der regiert wird”!) auf die Gefangenschaft Lasslas in der Burg von Wiener Neustadt bezieht. Für diese Gefangenschaft werden vor allem die Ungarn verantwortlich gemacht, denen Graf Ulrich von Cilli doch überlegen sein sollte:[26]

“Eya quam tute regitur rex nimis astute/
Cilie vlricus hunorum spoliat vicos/
Bistricie comes stultificat cunctos barones/
Cur cara patria predaris tali zophia/
presul tu magis varadim horum cur[am] agis/
vive Ladislae rex inclita origine princeps/
sideribus patriis sidus ymagine par [sis].”

(Heia, wie sicher wird der König regiert auf höchst kluge Weise! Ulrich von Cilli plündert die Dörfer der Ungarn; der Graf von Bistritz erschreckt alle Barone; warum, o Vaterland, wirst du solcher Weisheit beraubt? Du, Bischof von Großwardein, warum betreibst du mehr deren [Sache]?/ König Ladislaus, lebe, Fürst von erlauchter Abstammung/ sei ein Stern, gleiches Abbild der väterlichen Gestirne.)[27]

Der örtliche und zeitliche Kontext dieser Aufzeichnungen (Egkenvelder starb zwischen 1455 und 1457 in Wien oder Pressburg)[28] lässt daran glauben, dass das deutsche Lied oder eine Version davon tatsächlich für Lassla in Wien 1452 verfasst wurde.

Ein ähnliches Lied wurde durch den Poeten Jakob Vetter gedichtet oder überliefert und findet sich in einer Handschrift des 16. Jahrhunderts, D-Mbs Cgm 1113, mit deutlichem Wien-Bezug (Dichtungen u.a. von Suchenwirt). Es behandelt in 30 Strophen ausführlich die Geschichte des Aufstandes gegen Friedrich III. unter Führung Ulrichs von Eyczing und des Grafen von Cilli, mit der Belagerung von Wiener Neustadt und der Auslieferung Lasslas am 4. September 1452. In der Transkription Rochus von Liliencrons lautet der Beginn:[29]

De rege Ladislao.
“O reicher got du hochstes güt,
ich lob dich zu aller frist,
kunig Lasla das edel plüt
nun in gesetzet ist
in seines vater land,
das er ererbet hat.
Her got, hüt in an alle schand,
pewar in frü und spat!”

In der letzten Strophe nennt sich der Dichter, unter ausdrücklichem Hinweis auf seine Armut: “Jakob Veter all der welt spiegler ist er genannt”. Das Lied wurde offenbar zeitnah, 1452, zur Unterstützung Eyczings verfasst, der den Dichter vielleicht bezahlt hat (wie Liliencron vermutet). Mehrere Strophen, die die weitere politische Entwicklung beschreiben, sollen später hinzugefügt worden sein.

Der plötzliche, unerklärte Tod des jungen Königs am 23. November 1457 in Prag ist Gegenstand weiterer Lieder geworden, die sicher auch in der Region Österreich gesungen wurden, darunter ein 1540 in Augsburg gedrucktes mit dem Titel „Ein hüpsches lied von dem Kunig Lasla etc.“, das den Vorwurf seiner Ermordung durch die böhmischen “Ketzer”, vor allem Georg Podiebrad, erhebt:[30]

 

“Nun will ichs aber heben ann,
das aller best unnd das ich kann,
ich wills gar kläglich singen;
hilff reicher Christ von himmelreych,
das mir nit misselinge.
 
Von einem Künig lobesan,
Künig Lasla ist sein nam,
ein Hertzog auss Osterreyche,
Ja spricht man in der Christenheyt,
man findt nit seins geleyche.”

Von keinem dieser Lieder ist eine Melodie überliefert. “Nun will ichs aber heben ann” stimmt jedoch in der metrischen Versform genau überein mit dem “Wißbecken-Thon” (später u.a. “Schweizer Weise” genannt), zugeschrieben einem Ritter Hans Wißbeck, der 1457 am Wiener Hof Dichter gewesen sein soll. Die stereotypische Einleitungsformel “Nun will ich(s) aber heben an” war besonders mit dieser Melodie verbunden.[31] » Notenbsp. Ladislaus-Lied.

 

 

[25] Vgl. » B. “Volkslieder”, Kap. Definitionen (Sonja Tröster).

[26] Ich danke Marc Lewon für eine Kopie dieses Dokuments. Vgl. Lewon 2014, 330 (Faksimile) und 338f. (Transkription, Übersetzung und Kommentar).

[27] Lewon 2014, 339, mit auch hier berücksichtigten Hinweisen von Dr. Elisabeth Klecker. Bistricia ist entweder Slovenska Bistrica (Windisch-Feistritz), dessen Burg 1456 dem Grafen von Cili gehörte, oder eine Grafschaft im südöstlichen Ungarn (heute im Norden Rumäniens). Die Anwesenheit des Bischofs von Grosswardein bei den Wiener Festlichkeiten von 1452 ist in den Stadtrechnungen belegt. “Zophia”: eine von Klecker vermutete Anspielung auf die Einnahme Konstantinopels und der Hagia Sophia (erst 1453) kommt mir unwahrscheinlich vor.

[28] Zu Egkenvelder » B. Kap. Eine studentische Liedersammlung (Marc Lewon); Lewon 2014.

[29] Liliencron 1865–1869 Bd. I, Nr. 99, 452–460, nach D-Mbs Cgm 1113, fol. 131. Vgl. Schusser 1986, 126–129 (Anneliese Stoklaska und Ingomar Rainer).

[30] Exemplar in der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz (Ye 2206): http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN759625425. Vgl. » B. Kap. Liedtexte mit Verweis auf Orte (Sonja Tröster).

[31] Vgl. die Melodie bei Wenzel 2018, 211; Text bei Liliencron 1865–1869, Bd. III, Nr. 383; Mantuani 1907, 347–348 (Melodie, unterlegt mit dem Text “Ach durch got vernemt die klag”, was inhaltlich ebenfalls möglich, prosodisch jedoch viel weniger passend wäre). Der von Liliencron als Aufenthaltsort Wißbecks vorgeschlagene “Wiener Hof, 1457” wäre die Hofhaltung Herzog Albrechts VI. Ingomar Rainer (Schusser 1986, 129) glaubt Wißbeck auch den Text des Lassla-Liedes zuschreiben zu können, was bezweifelbar ist.