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Liedtexte mit Verweis auf Orte oder Ereignisse aus der Region Österreich

Sonja Tröster

Hinweise auf bestimmte Städte oder Regionen sind häufiger in Liedern zu finden, die von historischen Geschehnissen berichten. Rochus von Liliencron benannte diesen Liedtypus im 19. Jahrhundert als „historisches Volkslied“ und veröffentlichte eine materialreiche fünfbändige Sammlung von Texten solcher deutschsprachigen Lieder.[47] Da die unter diesem Namen veröffentlichten Lieder und Reden nicht mit der volkskundlichen Definition des Volksliedes übereinstimmen, wird das Repertoire heute unter dem Begriff der historisch-politischen Ereignisdichtung gefasst.[48] Die Neuprägung des Gattungsbegriffes war notwendig und für die Forschung äußerst hilfreich, um dieses Liedrepertoire dem inadäquaten Volksliedkontext zu entheben. Dennoch ist festzustellen, dass einige der historisch-politischen Lieder auch jenseits ihres Bezugs auf ein konkretes historisches Ereignis weit verbreitet wurden und daher vielleicht ein musikalisches Eigenleben besaßen. Dieses entwickelte sich aus einer produktiven Auseinandersetzung mit dem Liedmaterial. Das bekannteste Beispiel für eine derartige Aneignung ist der sogenannte Benzenauer. Das ursprüngliche Lied geht auf ein Ereignis nahe Kufstein im Jahr 1504 zurück. Der großen Verbreitung des Liedes, das auch häufig als Tonangabe zu finden ist,[49] folgte die Bearbeitung der Melodie für die Instrumentalmusik und der Benzenauer wurde im 16. Jahrhundert zu einem der Standardtänze in Sammlungen für Lautenmusik.[50]

Aus dem 15. Jahrhundert sind einige weitere Lieder überliefert, die Ereignisse in der Region Österreich schildern.[51] So das Lied von König Ladislaus‘ Ermordung (1457) , Nun will ichs aber heben an, das jedoch erst aus einem Augsburger Flugblatt » Ein hüpsches lied von dem Künig Lasla um 1540 bezeugt ist.[52] Oder das Lied Ich wais ain haws, das haist Wildan, das davon berichtet, wie der damalige König Friedrich den Christoph von Wolfsau auf der Burg Wildon in der Steiermark 1441 belagerte.[53] Auch dieses Lied mit 24 vierzeiligen Strophen wird erst in einer Handschrift aus dem 16. Jahrhundert greifbar.[54]

Große Bekanntheit in der Volksliedforschung erreichte das Lied Es liegt ein Schloss in Österreich, das sich nicht wie die vorausgegangenen Lieder auf ein konkretes Ereignis bezieht, sondern bekannte Erzählmuster aufgreift: Ein (zu Unrecht) zum Tode verurteilter Jüngling liegt im Kerker; der Versuch seines Vaters ihn freizukaufen schlägt fehl, und der Jüngling wird hingerichtet; sein Tod wird jedoch durch göttliches Eingreifen gerächt. Das früheste musikalische Zeugnis des Liedes ist ein dreistimmiger Satz in den Saganer Stimmbüchern (» PL-Kj Berol. Mus. ms. 40098, um 1480), der das Textincipit „Es leyt eyn schlos eyn österreich“ trägt. Da die im Cantus liegende Melodie jedoch nur geringe Ähnlichkeit mit den Melodieformen aus dem 16. Jahrhundert aufweist, ist das Verhältnis dieses Satzes zu der späteren Liedtradition unsicher.[55] Deren Zeugnisse setzen in den 1540er Jahren mit geographisch weit gestreuten Quellen ein. So erscheint in den in Antwerpen gedruckten » Souterliedekens 1540 zu einem Psalmlied die Tonangabe In oosten rijck daer staet een stadt und in der zweiten Auflage von Georg Forsters zweiter Liedsammlung (» Der ander Teil des aussbunds kurtzweyliger frischer Teudtscher Liedlein. Nürnberg: Johann Berg and Ulrich Neuber 1549) findet sich ein vierstimmiger Satz Es ligt ein schloß in Osterreich, das ist gar wol erbawet von Caspar Othmayr. Vor allem im 16. und 17. Jahrhundert tritt das Lied als Tonangabe, in Kontrafakturen und mit verschiedenen Melodien verknüpft in zahlreichen Quellen auf.[56] In einer Liedflugschrift um 1610 » Drey Schöne newe Weltliche Lieder lautet die letzte Strophe von Es ligt ein Schlößlein in Oesterreich:[57]

„Wer ist der uns diß Liedlein sang/
so frey gesungen hatte/
das haben gethan drey Jungfräulein zart/
zu wien wol in der Stadte.“

Überhaupt erst aus dem Ende des 16. Jahrhunderts stammen Quellen, die ein Lied von den Bauern in St. Pölten überliefern.[58] In dem Lied wird eine Hochzeit besungen, zu deren Gästen Bauern und ein Schultheiß bzw. Richter zählen. In den unterschiedlichen Fassungen stehen dabei entweder die Bauern oder der Schultheiß im Fokus des Spottes. Neben einer reinen Textaufzeichnung ist das Lied auch mit einem einfachen vierstimmigen Satz überliefert, der Jacob Handl-Gallus (1550–1591) zugeschrieben wird.[59] Die Melodie dieses Satzes ist jedoch vermutlich in keiner Weise mit derjenigen verwandt, auf die das Lied ursprünglich – und nach der Vermutung des Volkskundlers Leopold Schmidt sogar bereits im 15. Jahrhundert[60] – gesungen wurde.

[47] Liliencron 1865–1869.

[48] Vgl. Kellermann 2000, bes. 7–34 und 49–65.

[49] Insbesondere in Liedflugschriften und auf Liedeinblattdrucken wurden selten Melodien in Notation wiedergegen. Dagegen findet man häufig den Hinweis „zu singen im Ton …“. Diese Tonangabe verwies auf die Melodie eines als bekannt vorausgesetzten Liedes.

[50] Nehlsen/Schlegel 2012, 187–218. Vgl. » H. Lautenisten und Lautenspiel; » Abb. Der Benzennawer Inn tannz weiss.

[51] Anneliese Stoklaska gibt an, dass 300 historische Ereignislieder mit Österreichbezug aus dem Zeitraum von 1278 bis 1519 überliefert seien (Stoklaska 1986, 126f.). Diese Zahl (die ohnehin nur Textüberlieferungen betrifft) ist deutlich zu hoch gegriffen, da sie sich auf Liliencrons Angaben (Liliencron 1865–1869) stützt, der jedoch die Liedüberlieferung im gesamten deutschsprachigen Raum für diesen Zeitraum verzeichnet.

[52] Exemplar in der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz (Ye 2206): http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN759625425. Zu diesem Lied vgl. auch » E. Kap. Lieder für König Lassla

[53] Seemüller 1897; siehe auch Suppan 2000, 40–42.

[54] GB-Lbl Add. 16592, fol. 22r–23v.

[55] Zimmermann 1992.

[56] Meier 1935, 250–276.

[57] Exemplar Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Ye 1081.

[58] Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 754, fol. 81r; Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Sammlung Bohn Mus. ms. 10, Nr. 50; Wrocław, Ms. Brieg.Musik K.51, Nr. 25.

[59] Motnik 2012, 183f.

[60] Schmidt 1970a, 390.