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Religiöse Bruderschaften und Schwesternschaften

Ute Monika Schwob

Im Gegensatz zu ihren Vorläufern, den vornehmlich mönchischen Gebetsverbrüderungen zum Totengedächtnis und gegenseitiger Gebetshilfe, waren die religiösen Bruderschaften und Schwesternschaften des Spätmittelalters (confraternitates) ein für Städte und Märkte charakteristisches Phänomen. Als kirchlich anerkannte und – sofern genehmigt – vom Kirchenrecht privilegierte Vereinigungen waren sie ähnlich wie Zünfte und Gilden organisiert. Genossenschaftlich widmeten sie sich Werken der Frömmigkeit und Nächstenliebe, das heißt dem Gebet und Totengedächtnis, intensivem Gottesdienstbesuch, Bußwerken und sozial-karitativen Diensten, etwa der Krankenpflege, der Obsorge für Pilger und dem Begräbnis von Armen. Ihre Gebetsverpflichtungen waren an bestimmte Kirchen, Kapellen oder Altäre, oft an städtische Mendikantenklöster gebunden. Sie nahmen gemeinschaftlich an Messen, Andachten, religiösen Umzügen und Wallfahrten teil. Sie pflegten besondere Andachtsformen wie Eucharistie- und Marienverehrung, Passionskult und den Kult regional oder beruflich bevorzugter Heiliger.

In der Grafschaft Tirol waren alle diese Heiligen bereits im Spätmittelalter zur Ehre gelangt, als Patrone von religiösen Bruderschaften ausgewählt zu werden.[23] Am häufigsten schlug sich in Bruderschaftsnamen die vielgestaltige Marienverehrung nieder: Unserer Lieben Frau allgemein, aber auch Mariä Geburt, Mariä Reinigung, Mariä Himmelfahrt, den sieben Freuden Mariens, der Schmerzhaften Mutter und Maria von allen Gnaden waren dort bereits vor 1500 Bruderschaften gewidmet. Der Eucharistieverehrung galten die Fronleichnamsbruderschaften des 15. Jahrhunderts in Bozen und Brixen; sie spielten bei Prozessionen, besonders der am „Antlastag“ (Fronleichnamstag), eine gebührende Rolle, begleiteten aber auch Versehgänge. Vereinigungen, die der Idee der christlichen Brüderlichkeit mit Leistungen für die Gesellschaft dienen wollten, etwa mit Pilger- und Fremdenfürsorge, Krankenpflege und Totenbestattung, traten als bedeutende Organisationsformen im spätmittelalterlichen Sozialleben hervor. Hier ist für Tirol die 1386 gegründete Bruderschaft St. Christoph am Arlberg zu nennen. Sie hat mit Hospiz und Kapelle am Arlbergpass, mit Gaststube und Schlafräumen sowie mit Mitgliedern, die sich auf die Suche nach Verirrten, Übermüdeten und Kranken begaben, manchem Reisenden und Pilger geholfen. Ihre Mitglieder und Spender trugen sich mit ihren Wappen in Bruderschaftsbücher ein, die als heraldische Kostbarkeiten gelten.

Zur Unterstützung der Kranken, Alten und Notleidenden gab es „Elendsbruderschaften“, etwa in Innsbruck und Kaltern, vor allem aber die „Laienbruderschaft“ in Bozen, Brixen, Innsbruck und Bruneck, um wieder auf Tirol als Fallbeispiel zu verweisen. Am besten bekannt ist dank ihrer umfangreich überlieferten Archivalien[24] die Brixner Laienbruderschaft zum Heiligen Geist, eine Einrichtung für Bürger und Einwohner der Stadt, die wechselseitige Aufmunterung durch Gebet, Unterstützung der Armen, Pflege von Kranken, Bestattung von Toten und Gebet für deren Seelenheil leistete. Die Bruderschaft bestand bereits um 1309 und vermehrte ihren von einem Pfleger verwalteten Besitz durch Spenden Beitrittswilliger. 1348 erbaute sie ein neues Spital, das im Gegensatz zum älteren „Unteren Spital“ des Domkapitels als „Oberes Spital zum Heiligen Geist“ bezeichnet wurde und wie die meisten mittelalterlichen Hospitäler außerhalb der Stadtmauer lag. Dieser Laienbruderschaft trat 1409 Anna Hausmann, ledige Tochter des Brixner Schulmeisters Hans Hausmann, Geliebte und Fehdegegnerin Oswalds von Wolkenstein, mit einer  Stiftung bei und erkaufte sich somit ein würdiges Begräbnis sowie einen ewigen Jahrtag am Maria Magdalenen-Tag.[25]

[23] Hochenegg 1984, Listen, passim.

[24] Bestände im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, Südtiroler Landesarchiv Bozen, Diözesanarchiv Brixen.

[25] Schwob 1989, 291–326.