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Schlaglicht: Singen und Pilgern. Der Aufbruch von Felix Faber

Reinhard Strohm

Der Ulmer Dominikanerprediger Felix Faber (Fabri) hinterließ einen später oft gedruckten Reisebericht über seine Pilgerfahrten nach Jerusalem, Arabien und Ägypten (1480–1483).[1] In der Beschreibung seines Abschieds erscheint seine Pilgerfahrt deutlich als eine von der allgemeinen Frömmigkeit getragene Unternehmung.

SOLEMNITATE PASCHALI A°‘ DOMINI MCCCCLXXX, die IX. mensis aprilis, quae fuit dominica in octavis Paschae, qua cantatur: Quasi modo etc., in qua etiam celebratur ecclesiae fratrum praedicatorum in Ulma annua dedicatio, die eodem post prandium ex more ambonem ascendi, et populo, qui tam propter sermonem, quam propter indulgentias, in magna multidudine aderat, praedicavi. Finito sermone ante generalem confessionem solitam fieri a populo peregrinationem meam jam inchoandam esse cunctis indicavi, hortans, et obsecrans eos, Deum precibus pulsare pro salubri mea reductione, et nunc in praesentiarum cantum dominicae resurrectionis, quem vulgus cantare solet, cum carmine marinae peregrinationis mecum in jubilo decantare. Quo dicto alta voce incepi : Christ ist erstanden etc. Finito illo versu rursum intonavi: In Gottes Namen fahren wir seiner Gnaden etc. Omnis autem populus cantans prosequebatur a me inchoata magnis et jucundis vocibus, et repetitis vicibus. Nec defuerunt ibi lacrymae et singultus pro cantu eructantes. Multi enim utriusque sexus sollicitabantur et turbabantur timentes, sicut et ego ipse timui, meam in tantis periculis exstinctionem. Finito cantu, et impenso eis beneficio absolutionis generalis Deo eos commendavi, et signo crucis muniens valefeci et descendi. Die autem decima quarta aprilis, mane, benedictione itinerantium accepta, deosculatis et complexis fratribus ascendimus equos, reverendus Magister Ludwicus et ego, cum famulo civitatis Ulmensis, et venimus in Memmingen …” [2]

Am Osterfest des Jahres 1480, am 9. April, dem Sonntag nach Ostern, an dem man Quasi modo usw. singt, und an dem auch das jährliche Kirchweihfest des Ulmer Predigerordens gefeiert wird, stieg ich, wie es Brauch war, nach dem Mittagessen auf die Kanzel und predigte dem Volk, das sowohl der Predigt wegen als auch wegen des Ablasses in großer Zahl erschienen war. Nach dem Ende der Predigt und vor dem üblichen allgemeinen Sündenbekenntnis des Volkes verkündete ich allen, dass meine Pilgerfahrt nun beginnen solle. Ich ermahnte und beschwor sie, Gott mit Bitten für meine gesunde Rückkehr anzurufen, und nun mit mir den Gesang der Auferstehung des Herrn, den das Volk zu singen pflegt, sowie den Gesang von der Pilgerfahrt übers Meer jubelnd anzustimmen. Sobald ich das gesagt hatte, begann ich Christ ist erstanden usw., und nach Beendigung dieser Strophe intonierte ich In Gottes Namen fahren wir, seiner Gnaden usw. Und das gesamte Volk fuhr fort, das von mir Begonnene mit lauter und fröhlicher Stimme zu singen und zu wiederholen. Doch fehlten auch Tränen und Schluchzer nicht, die während des Singens ausbrachen. Denn viele Leute beiderlei Geschlechts wurden beunruhigt und beängstigt von der Furcht – die auch ich hatte –, dass ich in so großen Gefahren umkommen könnte. Nachdem der Gesang beendet war und ich ihnen die Gnadengabe der Generalabsolution erteilt hatte, entließ ich sie in Gott, schlug über sie das Kreuzeszeichen und stieg von der Kanzel herab. Am Morgen des 14. April dann, nach Empfang der Segnung für die Reisenden, umarmten und küssten wir unsere Brüder und stiegen auf die Pferde, Magister Ludwig und ich selbst mit einem Diener aus Ulm. So kamen wir nach Memmingen…

[1] Vgl. z. B. Hassler 1848/1849.


Empfohlene Zitierweise:
Reinhard Strohm: „Singen und Pilgern: Der Aufbruch von Felix Faber „, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich <https://musical-life.net/kapitel/schlaglicht-singen-und-pilgern-der-aufbruch-von-felix-faber> (2016).