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Die Prozession in Brixen

Ute Monika Schwob

So scheint es auch um 1550 der Brixner Dommesner beurteilt zu haben, denn er spricht stets von „procession“, gleich, ob er einen Umgang durch den Dom, durch Dom und Kreuzgang – oft mit Besuch der anliegenden St. Johannes-Kapelle und der Liebfrauenkirche, manchmal bis in das nahe gelegene Untere Spital – oder einen Gang durch den Dom- und Pfarrkirchenbezirk, die Fronleichnamsprozession durch die Stadt oder die jährlich an festgelegten Tagen stattfindenden Kirchfahrten zu benachbarten Orten wie Millan, Vahrn, Neustift oder Säben meint (» Abb. Brixen Umgebungskarte). Allen gemeinsam war das zumindest streckenweise vorgeschriebene Gehen in Prozessionsordnung und die Einbettung in die Liturgie. Bei Gängen über den Stadtbezirk von Brixen hinaus löste sich die vom Mesner aufgestellte Prozessionsordnung bald auf, um kurz vor dem Ziel und auf dem Rückweg vor dem Einzug in die Stadt wieder hergestellt zu werden; „so palt man aúff die weit kúmbt. so entrent sich die procession“ stellt der Mesner fest.[9] Ob die zeitweilig auf sich allein gestellten Kirchfahrer einzeln oder in Gruppen weitergelaufen sind, ob sie dabei Wallfahrtslieder gesungen haben oder irgendwo zu Trunk und Essen eingekehrt sind, bleibt unerwähnt, denn es lag nicht im Aufgabenbereich des Mesners, hier ordnend einzugreifen. Wohl aber beschreibt er die im Zuge der Neustift-Kirchfahrt vom dortigen Propst gegebene allgemeine Bewirtung und erwähnt seine Sorge, dass die Fahnenträger zu viel trinken und auffällig werden könnten: „Aber Schaw das die fan trager nit zúúil trinckhn / das sý mit den fanen kain schimpf aúffheben“ (Aber pass auf, dass die Fahnenträger nicht zuviel trinken, damit sie mit den Fahnen keinen Unfug treiben).[10] Dass Neustift mit der St. Michaels-Kapelle aus der Zeit der Kreuzzüge einen Nachbau der Grabeskirche von Jerusalem besaß, der sich durchaus als Wallfahrtsziel angeboten hätte, wird nicht erwähnt, sofern nicht das Datum der jährlich stattfindenden „Prozession“ nach Neustift, nämlich der Vortag von Christi Himmelfahrt – „am aúffart abent“[11] – ein indirekter Hinweis darauf ist, dass diese Kapelle anfänglich als Erlöserkirche galt.

Viel Raum widmet der Dommesner seinen Pflichten bei der „Prozession“ über Klausen nach dem ursprünglichen Bischofssitz Säben, leider in einer für den Leser schwer nachvollziehbaren Abfolge.[12] Diese Kirchfahrt findet nicht am Festtag der Diözesanpatrone St. Ingenuin und St. Albuin (am 5. Februar), anscheinend auch nicht am Tag des Brixner Hauptpatrons St. Cassian (am 13. August) statt, sondern am 25. April, dem St. Marx-Tag, der allerdings im „alt pistum“ der Patronatstag gewesen sein soll.[13] Die Prozession nach Säben beginnt mit großem Geläute, einem kurzen Besuch am St. Ingenuin- und Albuin-Grab und einer sorgfältigen Erstellung der Prozessionsordnung, die jedoch bereits in der nahe gelegenen Runggad beim Klarissenkloster nach dem Abstellen der Großen Fahne und anderer Ballaststücke neu geordnet werden muss. Es handelt sich nämlich diesmal um eine Kombination von Prozession und Wallfahrts-Ritt, zumindest für den Mesner und die Berittenen unter den Teilnehmern. Mit „fliegenden Fahnen“ und aufgestecktem Kreuz soll der Mesner voran reiten. Was für Reiter zu schwer oder umständlich zu transportieren ist, wird zu Fuß nach Säben hinauf und von dort hinunter getragen. Das Vorrecht, bei dieser „Prozession“ am Markus-Tag das Amt zu singen und die Predigt zu halten, hat der Pfarrer von Klausen.[14]

[9] Hofmeister-Winter 2001, 317, fol. 115v.

[10] Hofmeister-Winter 2001, 319, fol. 117r. Diese wohl realistische Befürchtung hat inhaltliche Gemeinsamkeiten mit dem Salzburger Spottlied „Die Pinzgauer wollten wallfahrten gehn; sie täten gerne singen, sie konntens nit gar schön“ (um 1800 entstanden).

[11] Hofmeister-Winter 2001, 317, fol. 116r.

[12] Hofmeister-Winter 2001, 304–311, fol. 109r–112v.

[13] Hofmeister-Winter 2001, 309, fol. 111v/112r.

[14] Hofmeister-Winter 2001, S. 307, fol. 110v.