Sie sind hier

Oswald von Wolkenstein als adliger Wallfahrer

Ute Monika Schwob

Dass eine Wallfahrt von kurzer Dauer sein und auch zu Pferd erledigt werden konnte, bestätigt Oswald von Wolkenstein, der in seinen „Gefangenschaftsliedern“ wiederholt andeutet, anlässlich eines solchen Unternehmens in Südtirol im Herbst 1421 in die Gefangenschaft seiner Fehdegegner geraten zu sein. Er unterstellt seiner früheren Geliebten und späteren Fehdegegnerin, ihn zu einer „Kirchfahrt“ zu Pferd verlockt zu haben. Die seinen Liedern eigentümliche Vorliebe für Doppeldeutigkeiten sollte den Hörern mit dem Stichwort „Kirchfahrt“ „fromme Andachtsübung“ einerseits und „Gelegenheit für ein unauffälliges Stelldichein“ gleichzeitig servieren, während der reale Hintergrund eher die Suche nach einem neutralen Ort für eine Aussprache war. Er fiel jedenfalls bei dieser Gelegenheit in die Hände seiner Fehdegegner, wurde gefangen gehalten und gefoltert. Nachträglich bedauert er mehrfach seine Vertrauensseligkeit:

Do ich ir kirchfart übersach, 
die si wolt reitten, als si sprach
kain hailg hett irs geschriben nach,
hett si die fart vermitten.

als ich ihre Kirchfahrt falsch interpretierte,
die sie reiten wollte, wie sie sagte;
kein Heiliger hätte es ihr nachgetragen,
wenn sie diese Fahrt vermieden hätte.

(Klein 1987, 59, 21–24; auch Klein 1987, 2, 66)

Zu welchem Gnadenort der Wolkensteiner damals unterwegs war, gibt er nicht preis; jedenfalls war die Grafschaft Tirol bereits zu seiner Zeit eine von zahlreichen Wallfahrtsstätten sakralisierte Landschaft. Größeren Zulauf hatte vor allem das Hostienwunder in der St. Oswald-Kirche von Seefeld, deren gotischer Neubau nach 1423 mit beträchtlichen Zuwendungen Herzog Friedrichs IV. und seines Sohnes Sigmund errichtet wurde.

 

 

Neben den von der Kirche organisierten, begleiteten und in die jeweilige Tagesliturgie eingebetteten Wallfahrten gab es, wie die Beispiele Oswald von Wolkenstein und Seefeld zeigen, individuelle Besuche von Kult- und Andachtsstätten, die manchmal in „wildes Laufen“ nach neuen Wunderorten ausarteten. Die häufigsten Motive der einzeln oder in Gruppen Wallfahrenden waren persönliche Gebetsanliegen, Gelübde, Buße, Erwerb von Ablässen oder Devotionalien, der Wunsch nach spiritueller Vertiefung oder auch nur nach Abwechslung im eintönigen Leben. Fromme aus allen Bevölkerungsschichten nahmen an Wallfahrten teil.