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A. Der lebendige Ritus

Abb. Puer natus est nobis. Initiale „P“ (Introitus Puer natus est nobis) im Graduale von Friedrich Zollner (um 1442), Augustiner-Chorherrenstift Neustift/Novacella (Provinz Bozen/Bolzano), mit Genehmigung.Die historisierte (erzählende) Initiale schmückt die Liturgie der dritten Weihnachts­messe. Der Engel an der Krippe singt „In dulcis jubilo singet und seyt fro“.

In den Beiträgen zu diesem Leitthema werden Traditionen und Bereicherungen des kirchlichen Ritus (der „Liturgie“) behandelt, die für die Region Österreich im Spätmittelalter charakteristisch waren, deren Autoren uns jedoch weitgehend unbekannt geblieben sind. In der Kirchenprovinz Salzburg wurden die Gottesdienste der Karwoche und des Ostersonntags mit besonderen Gesängen und Prozessionen gefeiert. Im Stift Seckau fügte man zum traditionellen Repertoire neuerfundene Gesänge (Tropen und Cantionen) hinzu, die z. T. auch in benachbarten Regionen verbreitet waren: die Vorläufer des Kirchenliedes. Rhythmischer Vortrag des Kirchenchorals diente mancherorts als festliche Ausschmückung; mehrstimmiger Choralgesang war besonders in Klöstern keine Seltenheit. Die regionaltypische Verehrung bestimmter Heiliger (z. B. der Hl. Dorothea) führte zu Aufführungen geistlicher Spiele und zur Schaffung neuer Gesänge für Gottesdienst und private Andacht. Kirchliche Zeremonien appellierten oft an die Frömmigkeit der Laien; sie wurden in Wort, Ton und Bild ausgearbeitet und verbreitet. Gegen die allzu „weltliche“ Gestaltung des Ritus erhob sich von Stift Melk aus die Reformbewegung des Benediktinerordens. Ihre Forderungen nach überregionaler Einheitlichkeit und schlichter Würde des Kirchengesangs wurden geschichtlich wie ästhetisch bedeutsam.

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