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Schubinger und das Augsburger Liederbuch

Markus Grassl

Einen Eindruck von Schubingers Repertoire vermittelt eine Quelle, der für die Rekonstruktion der am Hof Maximilians I. vorhandenen Musik insgesamt große Bedeutung zukommt: das sog. Augsburger Liederbuch (D-As Cod. 2° 142a).[41]

Die in den Jahren um 1513 in Augsburg oder Innsbruck angelegte Handschrift dürfte zur Sicherung der darin aufgezeichneten Musik gedient haben (als Musiziervorlage ist sie aufgrund einer Reihe von Eigenschaften der Notate ungeeignet). Einer Randnotiz zufolge stand einer der Schreiber (die durchaus unter den Mitgliedern der kaiserlichen Kapelle zu vermuten sind) mit Jakob Hurlacher, einem Augsburger Stadtpfeifer, in Verbindung[42] – ein insoweit nicht überraschender Umstand, als Augsburg ja als ein Hauptstützpunkt der Musiker Maximilians fungierte (» G. Augustin Schubinger Kap. Augsburg).

Die Handschrift enthält in einer bunten Mischung deutsche Lieder, französische Chansons, lateinische Motetten, aber auch eine kleine Gruppe von Tänzen. Die insgesamt sechs Sätze zu drei und vier Stimmen sind alle italienischer Provenienz und eignen sich für ein Ensemble aus Schalmei, Pommer, Krummhorn bzw. Posaunen in verschiedener Kombination.[43] Stilistisch repräsentieren sie durch den Aufbau aus kurzen, kadenziell geschlossenen Phrasen einen um 1500 neu aufkommenden Typ von Tanzmusik

» Hörbsp. ♫ Mantúaner dantz

Mit ihrer ,übersichtlichen‘, repetitiven Struktur und ihrer relativ schlichten, von ausgedehnten Parallelführungen zwischen Diskant und Tenor geprägten Satztechnik stellen sie eine Art Musik dar, die zumal von professionellen Instrumentalisten ohne Weiteres memorierbar war (Tanzmusikensembles spielten dem Ausweis der Bildquellen zufolge damals stets ohne Noten). Dieser Einbettung in die „schriftlose Praxis“ entspricht, wenn bestimmte notationelle Eigenheiten darauf hindeuten, dass die Tänze im Augsburger Liederbuch nicht nach einer geschriebenen Vorlage, sondern nach dem Gehör aufgezeichnet wurden.[44]

In Unkenntnis der Verbindung des Augsburger Liederbuchs mit der Kapelle Maximilians und aufgrund einer Fehlinterpretation der auf Jakob Hurlacher bezogenen Randnotiz wurde in der Literatur vermutet, die Tänze wären von Ulrich Schubinger an Hurlacher und von diesem an den Schreiber der Quelle vermittelt worden.[45] Mindestens so wahrscheinlich ist freilich ein ,Direktimport‘ an den kaiserlichen Hof durch Augustin Schubinger selbst. Dieser verfügte durch seine Florentiner Vergangenheit zweifellos über ein großes Repertoire italienischer Tänze. Mehr noch: Auch für den Transfer der Werke Alexander Agricolas, die sich im Augsburger Liederbuch in größerer Zahl finden, könnte Schubinger, zu dessen Kollegen an der Kapelle Philipps des Schönen Agricola zählte, (mit)verantwortlich gewesen sein.[46]

[41] Siehe dazu insb. Birkendorf 1994, Bd. 1, 97–101; Schwindt 2018c, 542–545; vgl. auch Brinzing 1998, Bd. 1, 137–150; » B. Kap. Aufschwung der Liedkunst; » D. Zur musikalischen Quellenlage.

[42] Dies war entweder Jakob Hurlacher der Ältere, der von 1495 bis 1530 als Augsburger Stadtpfeifer tätig war (also nicht erst ab 1508, wie in der Literatur regelmäßig behauptet wird; siehe die Einträge in D-Asa Baumeisterbücher), oder Jakob Hurlacher der Jüngere, der dem Augsburger Bläserensemble von 1502 bis 1506 und von 1509 bis 1517 angehörte.

[43] Siehe im Detail Brinzing 1998, Bd. 1, 151–154; Neumeier 2015, 252–254.

[44] Brinzing 1998, Bd. 1, 150.

[45] Polk 1991, 158; siehe auch Filocamo 2009. Rein spekulativ ist folglich auch Polks Mutmaßung, der Mantüane[r] dantz könnte mit einem der von Beheim übersandten bassedanze (vgl. » Kap. Eine süddeutsche Humanistenkorrespondenz) identisch und daher Schubinger oder Giovanni Maria Ebreo dessen „Komponist“ sein.