Sie sind hier

Hofmusik und Repräsentation

Martin Kirnbauer

Der Reichtum und Umfang des musikalischen Repräsentationsapparates von Kaiser Maximilian I. (1459–1519) wird anschaulich in den Holzschnitten des sogenannten Triumphzugs – allerdings sollte dabei nicht vergessen werden, dass es sich bei diesem ebenso ambitiösen wie kostspieligen Bilderprojekt nicht um eine realistische Darstellung seiner Hofkapelle handelt, sondern um ein stark idealisiertes Wunschbild „zu lob vnnd Ewiger gedächtnüs“ des um seine Reputation besorgten Monarchen.[1] In dem in zusammengesetztem Zustand wohl über 100 Meter langen Bilderfries finden sich neben dem Wagen mit der eigentlichen Hofkapelle (betitelt „Musica Canterey“ mit dem Kapellmeister Georg Slatkonia und Sängern) noch vier weitere Musikerwagen, nicht zu vergessen die stattliche Anzahl der im Zug vertretenen Trompeter und Pauker, „Burgundisch pfeyffer“ sowie Pfeifer und Trommler. Die viel bescheidenere historische Realität des maximilianischen Musikapparates bildet sich hingegen in den Rechnungsbüchern ab, etwa in dem Verzeichnis anlässlich der Auflösung der Hofkapelle 1520 nach dem Tod Maximilians: Hier figurieren insgesamt 13 „Trumetter vnd paugker“, 19 Sänger und etwa 20 Knaben als „Discantisten“ sowie ein „organista“ in der „Capellen oder Cannthorey“; unter den übrigen Chargen wird schließlich nur noch ein „geyger“ aufgeführt.[2] Diese Diskrepanz erklärt sich aus den unterschiedlichen Funktionen der Musiker: Die Sänger wurden für die Gottesdienste benötigt, die Trompeter und Pauker waren in erster Linie ein optisch-akustisches heraldisches Zeichen und stellten als die vielzitierte „Ehr und Zier“ ein unverzichtbares Statussymbol des Herrschers dar.[3] Die übrigen Musiker hingegen dienten vor allem der sogenannten „Kurzweil“ und wirkten nur indirekt repräsentativ, etwa bei Reichstagen oder als musikalische Botschafter, wenn sie, gekleidet in den Farben des Herrschers, beispielsweise als des „zwayen siner Maiestat Luttenschlager“ in den Reichsstädten und bei Fürstenhöfen auftraten und dafür stattliche Geldgeschenke erhielten.[4] Venezianische Gesandte, die Maximilian 1492 in Strassburg trafen, berichten von der Ehre, die sie durch den Besuch der königlichen Musiker in ihrem Quartier erhielten: Es erschienen 14 Trompeter mit großen Pauken, aber auch Pfeifer, Trommler und Lautenspieler. Weiter drei Brüder mit ihrem Vater, die ein Claviorganum (ein Tasteninstrument, dass Orgel und Cembalo kombiniert), Laute und Fiedel spielten.[5] Auch dieses kunstreiche Familienunternehmen wird ausdrücklich als zum Hofstaat gehörig bezeichnet, obwohl sie archivalisch bislang dort nicht dokumentiert werden konnten.

Wohl vor allem die repräsentative Funktion – mehr noch als sein eigenes musikalisches Bedürfnis – erklärt das Interesse Maximilians, herausragende Instrumentalmusiker mit seinem Hof zu verbinden. Bekanntlich galten die Musik und die Musiker an einem Hof als wichtiger Bestandteil des Herrscherruhms.[6] In diesem Sinne sind auch die Berichte über Maximilians besondere Liebe zur Musik als Teil eines Herrscherlobs zu verstehen, wie dies etwa in der Biographie seines humanistisch geschulten Leibarztes Johannes Cuspinianus zu lesen ist:
„Musices vero singularis amator, quod vel hinc maxime patet, quod nostra aetate musicorum princeps omnes in omni genere musices omnibusque instrumentis in ejus curia veluti in fertilissimo agro succreverint, veluti fungi unâ pluviâ nascuntur.“[7]
(Er war ein einzigartiger Musikliebhaber, was schon daraus deutlich hervorgeht, daß alle großen Meister der Tonkunst unserer Zeit in jeder Musikgattung und auf allen Instrumenten durch seine Fürsorge sich wie auf fruchtbarsten Acker entfalteten.)

Ganz ähnlich zu verstehen ist die oft zitierte Passage im Epos Weißkunig, ein dem Triumphzug vergleichbares ambitiöses Publikationsprojekt Maximilians. Hier wird berichtet, wie der junge König, ein idealisierter Alter ego Maximilians, eine „Canterey“ einrichtet, „mit ainem sölichen lieblichn gesang, von der menschen stymm wunderlich zu hören, vnd söliche liebliche herpfen, von Newen wercken, vnd mit suessem saydtenspil, das Er alle kunig übertraff, vnd Ime nyemandts geleichen mocht, sölichs unnderhielt Er, fur vnd fur, das ainem grossen furstenhof geleichet, […]“ (mit einem lieblichen Gesang menschlicher Stimmen, die wunderlich zu hören sind, und lieblich klingenden Harfen, und neuen Instrumenten, und mit süssem Saitenspiel, dass er damit alle Könige übertraf und ihm niemand hierin vergleichbar war. Und eine solche Musik unterhielt er andauernd, wie es einem grossen Fürstenhof gebührt).[8] Auf der dazugehörigen Abbildung sieht man den Weißkunig inmitten von Instrumentalmusikern, denen er mit einem langen Stab buchstäblich den „Takt“ angibt (» Abb. Weißkunig Blatt 33).[9]  Anders gelesen zeigt die Abbildung, dass alle Musik am Hofe auf sein eigentliches Zentrum, den Herrscher, zurückgeht und -verweist.

 

Abb. Weißkunig Blatt 33

Abb. Weißkunig Blatt 33

„Wie der jung weiß kunig die musica und saytenspil lernet erkennen“ (Weißkunig, Blatt 33). Holzschnitt von Hans Burgkmair, 1514–16. Österreichische Nationalbibliothek, A-Wn Cod. 3032.

[1] Zum Triumphzug, seinen unterschiedlichen Versionen und der komplexen Entstehungsgeschichte informiert Appuhn 1979 und Michel/Sternath 2012; zur Bedeutung für Maximilian Müller 1982; zum Verhältnis zwischen Abbildung und Realität Polk 1992; das Zitat stammt aus der frühesten erhaltenen Formulierung des ikonographischen Programms des Triumphzugs 1512 in » A-Wn Cod. 2835, fol. 3v.

[2] Koczirz 1930/31, 531 f.

[3] Žak 1979.

[4] Nedden 1932/33, 27 (Zitat aus den Augsburger Baumeisterbüchern von 1491, den Kassenbüchern des Rats über Ein- und Ausgaben).

[5] Vgl. Simonsfeld 1895, 267 f.

[6] Vgl. Strohm 2009, 98.

[7] Zitiert nach Waldner 1897/98, 2.

[8] Treitzsaurwein 1775, 78.

[9] Vgl. Schwindt 2012.