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Bruder Wernher und der Tannhäuser

Horst Brunner

Ein jüngerer Zeitgenosse Walthers war der Spruchautor Bruder Wernher (+ um 1250), der (neben Reinmar von Zweter) bedeutendste politische Dichter in der Zeit nach Walther. 

Abb. Bruder Wernher (Codex Manesse)

Bruder Wernher

D-HEu Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. Germ. 848: Codex Manesse, Zürich ca. 1305, fol. 344v. © Universitätsbibliothek Heidelberg, https://doi.org/10.11588/diglit.2222#0684.

Bruder Wernher (erste Hälfte des 13. Jahrhunderts), ein Sangspruchdichter, der vielleicht in späteren Lebensjahren einem geistlichen Orden beitrat, verfasste 76 oder mehr Gedichte mit oft politischen und moralischen Themen. Die Abbildung in der Großen Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse) zeigt ihn in lehrender Haltung vor einem adligen Paar. Vgl. » Kap. Bruder Wernher und der Tannhäuser (Horst Brunner).

Seine Herkunft aus Österreich ist nicht gesichert, doch hat er Spruchstrophen auf die Herzöge Leopold VI. (1198-1230) und auf dessen Sohn und Nachfolger Friedrich II. den Streitbaren (1230-1246), den letzten Babenberger, verfasst, teilweise vermutlich als Sprecher der österreichischen Landherren, die mit dem politisch leichtfertigen und streitlustigen, zeitweise mit Kaiser Friedrich II. verfeindeten Herzog Friedrich im Konflikt lagen. Der früheste datierbare Spruch Bruder Wernhers scheint 1217 beim Aufbruch Leopolds zum sogenannten Damiette-Kreuzzug gedichtet worden zu sein (Z VIII, 74).[8] Der Name des Herzogs wird nicht genannt, sein Lob ist nicht ganz ohne Zweideutigkeit. Mehrere Sprüche befassen sich mit der desolaten politischen Situation Österreichs in den Jahren 1236 bis 1239, als Herzog Friedrich vom Kaiser aus Wien vertrieben war – als Schuldiger erscheint hier eindeutig der Herzog. Auftraggeber dürften die unter den Verhältnissen schwer leidenden Landherren gewesen sein. Wohl längere Zeit nach dem Tod des Herzogs verfasste Bruder Wernher eine rühmende Totenklage (Z I,12): Ich hân geklaget unde klag ez an / wol zwênzec jâr ie baz unde baz. In weiteren Sprüchen werden der Kärntner Graf Wilhelm von Heunburg  und ein Herr von Ort aus der Steiermark gelobt (Z II, 32 und V, 66). Die Melodien zu Bruder Wernhers Spruchtönen I-VI blieben in der Jenaer Liederhandschrift bewahrt.[9]

Ein weiterer in Österreich damals tätiger Spruchdichter war der Tannhäuser, der vermutlich aus der Gegend um Nürnberg stammte.[10] Mit ihm gelangen wir direkt an den zeitweise durch ein glanzvolles höfisches Leben ausgezeichneten Wiener Hof Friedrichs des Streitbaren, an dem nach 1230 der berühmte Lieddichter Neidhart als Dichter von Sommer- und Winterliedern und wohl auch als Arrangeur höfischer Feste wirkte.[11]  Der Tannhäuser war ab etwa 1238/39 offenbar als Nachfolger des Verstorbenen in gleicher Funktion tätig. Wie Walther bediente er sich aller drei der üblichen Liedtypen: Minnesang, Spruchsang und – diese Gattung war ihm wohl am wichtigsten – Leich. In seinen Texten gewinnt man ein ganz und gar positives Bild des Herzogs. Der große Tanzleich M[12]  Leich 1 ist im 1. Teil ein 90 Verse umfassendes überschwengliches Lobgedicht auf ihn. Tannhäuser erhebt ihn in den höchsten Rang aller Lebenden und schreibt ihm alle guten Eigenschaften zu: Nâch siner wirde in nieman gar geloben kan (v. 21) – „Niemand weiß ihn so zu rühmen, wie es seinem Wert entspricht.“ Ein wahrhaft verlogenes Stück Hofpoesie! Doch nach dem Schlachtentod des Herzogs 1246 scheint der Dichter wirklich getrauert zu haben, er rühmt den Verstorbenen noch in zwei weiteren Leichs (M Leich 5, v.63-65; Leich 6, v. 35-37), und hebt ihn in den beiden Strophen IV und V seines M Spruchtons 2 hervor: der Herzog habe ihm Güter in der Nähe von Wien geschenkt, ihn zum Hausherrn gemacht, jetzt ist alles perdü: Ez sol mir nieman wîzen,  ob ich in klage mit triuwen./ mîn fröude ist elliu mit im tôt,   dâ von muoz er mich riuwen (Str. V, v. 5f.) – (Es soll mir keiner verdenken, wenn ich ihn in aufrichtiger Treue beklage. Meine ganze Freude ist mit ihm tot, deshalb muss er mich auch reuen.) An die Stelle des Lebens als Hausherr ist nun das leidige Leben eines Fahrenden getreten. Erhalten geblieben ist von den Spruchmelodien – in später meistersingerlicher Überlieferung – nur die zum M Spruchton 1, außerdem eine Liedmelodie M Lied 3;[13] die Melodie zum M Leich 4 konnte aus einer lateinischen Kontrafaktur rekonstruiert werden.

Auf Österreich beziehbare Sangsprüche gibt es danach erst wieder in der Zeit der Herrschaft des ersten Habsburgers König Rudolfs von Habsburg, also nach dessen Wahl 1273. Auf ihn wurden zahlreiche Strophen unterschiedlicher Autoren verfasst, die ihn allerdings nicht als österreichischen Landesherrn, sondern als deutschen König thematisieren: Rumelant von Sachsen, Konrad von Würzburg, der aus Südtirol stammende Friedrich von Sonnenburg, Boppe, Frauenlob stehen positiv zum König – jedoch der Unverzagte, der Schulmeister von Esslingen, ein Anonymus im berühmten, vielfach gebrauchten Almentton, der Stolle zugeschrieben wird, rügen ihn wegen seines Geizes.[14]

 

[8] Bruder Wernher wird zitiert nach Z = Zuckschwerdt 2014.

[9] SPS (Brunner/Hartmann 2010), S. 427-432.

[12] Zitiert nach Mildner 2023.

[13] SPS (Brunner/Hartmann 2010), S. 397-399.

[14] Die Sprüche sind aufgelistet bei Müller 1974, S. 350-353; Abdrucke der Texte bei Müller 1972. Die in der Jenaer Handschrift erhaltenen Melodien sind ediert in SPS (Brunner/Hartmann 2010).