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Bauerntanz in den Neidhartspielen

Andrea Grafetstätter

Tanz um das Veilchen

Bei der Veilchensuche sind in allen Spielen neben dem Gesang auch Tanz und Instrumentalmusik der Ad­li­gen und der Bauern omni­prä­sent: Zum rayen (Reigen) sollen im Großen Neidhartspiel paucken und sayttenspil, pfeyffen und schalmayen dienen; Neid­hart fordert: „Jr spillewt machet vns ain süessen don“, kom­plet­tiert durch die Re­gie­an­mer­kung: „Da pfeyfft man auff mit fröden […] Vnd Neythart füert dye hertzogin/ vnd Tantzen vmb dem veyol“ (Margetts 1982, 38–39, 701–720). (… und sie tanzen um das Veilchen.)

 

Abb. Tanz der Herzogin

Abb. Tanz der Herzogin

Der Tanz der Herzogin um das Veilchen. Holzschnitt aus Neithart Fuchs.

Inkunabel Augsburg 1491–97 (z) III. „Hie danczt die herczogin vmb den veiel vnd die herczogin hept den huot auf.“ (Bobertag 1884, 155).

 

Auch das Sterzinger Neidhartspiel (Margetts 1982, 175, 235–238) ins­ze­­niert hier mit ei­ni­gem Auf­wand, vgl. das Szenar: „So steent die Pfeyffer auf Jr/ Ort, vnd pfeyffent zu Tanntz,/ So tanntzt der Neydthardt/ mit der Herzogin, auch die/ Ritter vnd Jungk­frawen,/ Vnd die Pawrn mit Jren/ Weybn vnd Dyern nach Jn“. (So stehen die Pfeifer auf ihren Plätzen … und die Bauern mit ihren Frauen und Mädchen nach Ihnen.) Im Großen Neidhartspiel ist die Beauftragung von Musikanten auffällig, wenn einer der Bauern fordert: „So wellen wir gen frolichen/ Die spill leUt hayssen auff pfeyffen/  Da tantzen die pawren hyn gen hoff“ (Margetts 1982, 19, 90–92). (So wollen wir fröhlich gehen, die Spielleute anweisen, aufzuspielen. Da tanzen die Bauern hin zum Hof.) In diesem Spiel beschreiben die Bauern überdies ihre Kostümierung selbst: „Ja ich trag auch ain gneytten/ Hye an meiner seytten“ (Margetts 1982, 54, 1194–1195). (Fürwahr, ich trage hier ein Schwert an meiner Seite.); „Jch trag heUr nun mein erstes schwerd/ Vnd han ain newes gürttlgewant“ (Margetts 1982, 25, 266–267). (Ich trage in diesem Jahr mein erstes Schwert/ Und habe ein neues Gürtelgewand).

 

Abb. Wirtshausszene mit Tanz

Abb. Wirtshausszene mit Tanz

Bauern in der Kneipe: Katzunghaus-Relief. Wirtshausszene mit Spielleuten und tanzenden Bauern. Relief (um 1500), Katzunghaus, Innsbruck (Familie Dengg). Mit Genehmigung.

 

Die Holzschnitte des Neithart Fuchs zei­gen bei der Darstel­lung des Veilchen­schwanks eine Stan­ge,[73] auf der das Veilchen drapiert wur­de und um das die Bauern tanzen (Bobertag 1884, 158), wie im Großen Neidhartspiel: „Da hayst aber auff pfeyffen vnd die pawren/ heben aber an zu tantzen“ (Margetts 1982, 45, 924–925).

 

Abb. Tanz um den Veilchenstab

Abb. Tanz um den Veilchenstab

Bauern tanzen um den Veilchenstab. Holzschnitt aus Neithart Fuchs.

Inkunabel Augsburg 1491–97 (z)  (IV) „Hie danczen die pawren vmb den feiel den si dem Neithart heten gestolen“ (Bobertag 1884, 158).

 

Geschichtliche Interpretation der Bauernauftritte

Blickt man speziell auf die Neidharttradition, wird in Neidharts Liedern – in den wenigen Ausnahmen des Vorkommens – mit (ge)bûre der Bauernstand, mit dörper oder dörpel dessen Verhalten signalisiert, es wird ein plumpes, täppisches, un­passendes Benehmen skizziert. Der Dör­­per in Neid­harts Liedern, der generell norm­trans­­gre­dierend in Bezug auf seinen Stand agiert,[74] wird in den Spielen und im Neithart Fuchs zum pawr, der Dörperfeind Neidhart zum Bauern­feind. Als Gegenbilder[75] bergen die Bauernfiguren die Möglichkeit von Parodie, denn einer der bei­den the­ma­ti­schen Schwer­punkte der Parodie­be­we­gung des 13. Jahrhunderts ist „die kri­ti­sche Selbstreflexion des Adels ge­­spie­gelt in der Gegenüberstellung mit der Figur des Bau­ern.“[76] Die Auftritte der Bauern in den Neidhart­spielen, „Engelmâr’s village dandies“[77], können wohl am ehesten auf der Grundlage von Neid­harts Dörperliedern, aber auch von der Dar­stel­lung der Bauern im Drama her be­ur­teilt wer­den:

„Das Verfahren, im Bauern ein Gegenbild zu ent­­werfen – das von bäuerlicher Realität weit entfernt ist –, un­terliegt also einer starken Ab­stu­fung. Ist im Schwank ein Klischee aus­geprägt, das nur dazu dient, ver­lacht zu werden und allenfalls die Negativierung sonst gel­ten­der Regeln in einer ‚verkehrten Welt‘ vor­zu­füh­ren, so setzt der Sänger Neidhart das Ge­gen­bild ein, um eine sehr viel differenziertere Wirkung zu er­zielen.“[78]

Mar­getts verweist auf soziale Unruhen und einen Bauernaufstand des Jahres 1525 in Ster­zing und betont einen gegen die Bauern gerichteten sozialkritischen Aspekt der Spiele.[79] Mit Blick auf die Interpretation der Tiroler Spiele ist die herausragende sozialge­schicht­liche Stellung der Tiroler Bauern­schaft bedeutend, die umfassende Vorteile und Rechte ge­noss, da die Bau­ern direkt dem Landes­fürsten von Tirol subordiniert waren, der sie zu­un­gun­sten ständischer Tiroler Noblesse pro­te­gierte; die Bauernkriege und speziell der Tiroler Bauernkrieg von 1525 sind Teil einer späteren Entwicklung.[80] Die historische Situation zeigt demnach zwei wider­strei­ten­de Parteien, ein starkes Bauerntum und einen de­pra­vier­­ten Landadel.

 

Mittel der Parodie

Aus diesem histo­ri­schen Be­fund ergibt sich auf die Spiele übertragen eine Parodierung bäuerlicher An­maßung. Ge­rade die Schlussrede Neidharts an die Bauern im Sterzinger Neidhartspiel, die bäuerliche Laster wie Dumm­heit, Geil­heit, Trunksucht und Verstoß gegen die Kleider­ordnung anpran­gert, wertet Siller dem­­ent­­sprechend – trotz Derbheiten – nicht als komisch, sondern als „res­tau­­rative So­zial­­kri­tik aus der Perspektive des Bürgers und Adligen, der Versuch, ange­bo­re­ne, an­ererbte oder neu­er­wor­be­ne, neuangemaßte Privilegien gegen die Ansprüche einer nie­de­reren Schicht zu ver­tei­di­gen“[81], und er sieht Neidhart als Integrationsfigur, die vor diesem Hintergrund ein Verspotten erlaubt habe. Allerdings schließen sich Komik und Dif­fa­mie­rung letzt­end­lich nicht aus, sondern im Gegenteil kann Komik als Mittel der Diffamierung in­stru­men­ta­li­sert wer­den. Die Bauern werden gerade durch ihre „performance“ als animalisch, entmensch­licht-triebhaft vorge­führt: Im Sterzinger Neidhartspiel wird z. B. das Lärmen der betrun­kenen Bau­ern um­ris­sen, sie „habent ain wylds Leben/ gröppytzn vnd schreyen“ (Margetts 1982, 194, 916–917), und die sze­ni­schen Darstellungen auf ei­nem Bildstreifen an der nörd­li­chen und südlichen Längs­wand des Festsaales des Anwesens „Tuch­lauben 19“ in Wien (Er­werb im Jahre 1398) präsentieren die Protagonisten „mit plumpen, un­för­migen Körpern“.[82] (Vgl. » B. Das Phänomen „Neidhart“ und » Abb. Wirtshausszene mit Tanz)

Bramarbasierendes Drohen ist zur Genüge aus der Neidharttradition be­kannt, so aus dem Lied Do der liebe sumer urloup genam: „ich […] slah im mit willen eine vlaschen, daz im die hunt daz hiern ab der erde muzzen naschen“ (Müller/Bennnewitz/Spechtler 2007, Bd. 1, 124, R 16, VII, 9–12). (Ich […] schlage ihm absichtlich auf den Kopf, dass ihm die Hunde das Gehirn von der Erde lecken sollen.) Exaltiertes Prahlen mit stimmlicher Potenz der Bauern deutet im Großen Neidhartspiel auf unpro­fes­sionelle Ein­la­­gen und auf das Im­­pro­vi­sa­tionstalent eines Darstellers, der „singt wz er wil: Wolher ich wil vns ains singen/ Dz peste lieyd dz ich singen kan/ Vnd newlich gelernt han“ (Margetts 1982, 85, 2167–2170). (singt was er will: Wohlauf, ich will uns eines singen, das beste Lied, das ich singen kann, und kürzlich gelernt habe.) Die Relevanz von Gesängen zur Komisierung verdeutlicht der Mönch-Schwank des Großen Neidhartspiels; hier singen sie „all vnder einander“ und dazu „ein yeglicher waz er will“ (Margetts 1982, 65–66, 1546–1553). Als Turnier mit Musikunter­ma­lung beschreibt das Sterzinger Neidhartspiel die gro­ße und lange vorbereitete Schlägerei zwi­schen den Bauern und den um Neidhart ver­sam­mel­ten Rit­tern: „Inn deme greyfft Neydthardt mit Seinn/ Gselln die Pawrn an / Schlahent alle anein-/annder / vnd die Spylleüte pfeyffent die-/weyle“ (Margetts 1982, 185, 592–595). Auch der Bauerntanz artet in eine Schlägerei aus – „Der tantz ist wol ains hawens wert“ (Margetts 1982, 88, 2259) (der Tanz ist gewiss eine Schlägerei wert) – und damit wird überdeutlich die Verbindung von Tanz und Prügel als korporale Ausdrucksmittel sichtbar, wie es auch die Rumpoldspiele andeuten: „So Sy ain weyll/ getanczt haben,/ So stost schlag[-]/ in hauffn den/ peterman“ (‚der verstossen Rumpold‘, Bauer 1982, 410, 829–833). Zur Ridikülisierung trägt die Selbst­cha­rak­teri­sie­rung des Bauerntan­zes im Großen Neidhartspiel durch Bau­ern bei, die diesen als waydeleich be­zeichnen (Margetts 1982, 28, 366). Die Tanz­weis­e wird durch Re­gen­part cha­rak­te­ri­siert: Es ist „Ain hüpsche[r] stoltze[r] trit, nach newen hofsitt“ (Margetts 1982, 78, 1956–1957). (Ein höfischer vornehmer Schreittanz nach neuer Hofsitte.) Die Bauern tanzen ihn „auff den zehen“ (Margetts 1982, 79, 1958), dazu singen sie „Jre lied“ (Margetts 1982, 79, 1961). Das Große Neidhartspiel beschreibt die Musik des Bauern­tan­zes: „Egkereich hebt mit leyren an“ (Margetts 1982, 86, 2209). (Egkereich fängt an die Drehleier zu spielen.) Zum Tanz tragen sie „sporen die klingen“ (vgl. bereits das Lied Urlaub hab der winter (Müller/Bennnewitz/Spechtler 2007, Bd. 2, 63, c 17, V, 10)). Wur­den Bauerntänze und höfische Tän­ze parallel auf der Bühne inszeniert, konnte die­ser Kontrast die Komik stei­gern, denn das Bemü­hen um Hö­fisch­sein der Bauern (Regiean­mer­kungen fordern, man möge „hofelich“ agie­ren, so im Sterzinger Neidhartspiel (Margetts 1982, 170, 51) dürfte in Verbin­dung mit dem entspre­chenden Aufzug schlicht albern ge­­wirkt ha­ben: „Die Kopie ritterlicher Art, wie die reichen Prot­zen sie versuchten, übertrieb na­türlich, wenn auch nicht so stark, wie es die stärker auf­tra­gen­de Satire tut; und so wirkten die bäuerischen Gecken gewiss auch objektiv komisch.“[83] Even­tuell beinhaltet diese Gestal­tung auch eine Kritik an höfischen Sitten durch deren antagonistische Überzeichnung.

 

Adlige, Bauern und Städter

Nach der Zusage des ver­kleideten Neidhart an die Bauern im Großen Neidhartspiel, Neidhart werde ihnen ausgeliefert, füh­ren sie „Von fröden“ einen Tanz auf  (Margetts 1982, 95–96, 2494–2496); da die Bauern zu diesem Zeit­punkt bereits invalid sind, dürfte dieser Tanz ent­spre­chend grotesk aus­gefallen sein. Der Au­tor war hier vielleicht bestrebt, „die Bauern, die trotz ihrer Stelzbeine von ihrer Tanzwut nicht lassen konn­ten, mit ihrem ungeschickten Hum­peln, das sie obendrein Hof­tanz nannten […], erst recht lächer­lich zu machen.“[84] Deutlicher noch als in der „peasant charade“[85] der Neid­hart­­lie­der wurden Bauern in den Spielen aktiv in ihrem Aussehen und ihrem Verhalten vor­ge­führt. Am­bi­­gui­tä­ten der Lieddtra­dition wurden in den Spielen vereindeutigt. Vielleicht waren die Neid­hart­spiele im Spät­mit­tel­al­ter gerade des­halb so be­liebt, weil sie dem städti­schen Pu­bli­kum die Mög­lich­keit boten, sich nach beiden Sei­ten hin ab­­zugrenzen, gegenüber dem Adel, aber auch ge­­genüber den Bauern als Projektionsfiguren für ‚ver­bo­te­ne‘ Vitali­tät und Trieb­er­fül­lung, die im Ar­beits­­alltag des Bürgers hinderlich gewesen wären. Sowohl die Adligen (bzw. deren Um­­ständ­lich­keit, Ineffizienz, Rückgriff auf Gewalt zur Problemlösung) als auch die Bauern (u. a. auf­grund des lä­cher­lichen Aneignens höfischer Kultur) standen zur komischen Disposition, was dem Pu­bli­kum ein Ver-La­chen und damit eine Abgrenzung vom Adels- bzw. Bauernstand und eine ei­ge­ne Positio­nie­rung erlaubte. Demnach hatten die Neidhartspiele zumindest für städtische nichtadelige Zuschauer weniger eine di­dak­tische als eher eine in­­te­grative Funktion, und sie boten gerade diesen Zuschauern auch eine Mög­lich­keit zur Selbst­vergewis­se­rung.

 

[73] Die Holzschnitte werden abgebildet in Bobertag 1884; vgl. auch Jöst 1980 und Jöst 2000.

[74] Vgl. Schweikle 1994, 418, 425, 428.

[75] „Was in den Winterliedern zusammenfassend die dörper im negativen Sinne auszeichnet, und was be­son­ders durch das Verhalten ihres Gegenspielers, des höfisch sich benehmenden Ein­zel­­gängers, deutlich wird, ist ihre Unhöfischkeit, sind ihre Verletzungen und Übertre­tungen ritterlich-höfischer Werte, vor allem von mâze und zuht. Neidharts dörper sind […] die Gegentypen, Gegenbilder zu dem ebenfalls zunächst im li­te­ra­rischen Bereich geschaffenen Idealtypus des höfischen Menschen, dem Ritter“ (Schweikle 1994, 423–424).

[76] Blank 1979, 216.

[77] Simon 1968, 458.

[78] Cormeau 1986, 56. Siehe auch Franz 1976. Zur Komik, die durch Ge­gen­bildlichkeit entsteht, siehe Jauß 1976, 103–132.

[79] Vgl. Margetts 1982, 266–268.

[80] Vgl. Mayer 1976, 177–190; Blickle 2004.

[81] Siller 1985, 389.

[82] Blaschitz/Schedl 2000, 100.

[83] Brill 1908, 73.

[84] Gusinde 1899, 166.

[85] Traverse 1997, 1.

Lugert 1981 | Stolz 1949