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Aufführung und Publikum

Andrea Grafetstätter

Die äl­tes­ten Auffüh­rungs­be­le­ge zu Neidhartspielen (aus Arnheim) datieren auf 1395 und 1419.[53] Weitere Belege stammen aus Baden/Schweiz (1432), Nürnberg (1479, 1488), Bam­berg (1488), Passau, Kloster St. Nikola (1488), Preß­burg/Bratislava (1492), Salzburg (1497, 1518, 1535, 1539, 1546, 1558), Eger/Cheb (1516), Lau­fen/Salzach (1517), Butzbach (1517, 1518) und Burg­hau­sen (1519).[54] Zählt man zu den genannten Notizen noch einen Brief Maximilians I. aus dem Jah­re 1495 hinzu,[55] lie­­gen ins­gesamt 21 externe Hin­weise zum Neidhartstoff vor. Auffällig ist die Präsen­tation von Neid­hart­spie­len für eine kle­rikale Klien­­tel. Die Auf­füh­rung der größer kon­zi­pier­ten Neidhartspiele als Freilichtspiele in ihrer „besondere(n) Art von ‚Öffent­lichkeit‘“[56] erforderte be­trächt­­li­che monetäre und künstlerische Ressourcen; Aufführungen in wohl­ha­ben­den Städten wie Nürnberg, Bozen oder Sterzing boten sich daher an.

Früh wurde in der Forschung diskutiert, ob die Spiele als „Maispiele“ im Frühling (z. B. Gu­sinde) oder als „Fastnachtspiele“ zwischen Winterende und Früh­lings­an­fang (z. B. Dör­rer) aufgeführt wurden. Man bemühte dazu den (höfisierten) Brauch am Wiener Hof zur Zeit Leopolds VI., im März (!) nach dem ersten Veilchen Ausschau zu halten, außerdem den Brauch der Maibuhlschaft.[57] Allerdings wird das „Veil­chenfest“ von Erhard Jöst und Eckehard Si­mon mit gewichtigen Argumenten in den Bereich der ro­man­tischen Mythen­bildung ver­wie­sen.[58] Denn erhaltene Auf­füh­­rungsbelege machen die Fastnachtszeit als Auf­füh­rungstermin der Neid­hart­spiele wahr­­­schein­­­­lich, der für nahezu alle belegten Neid­­hart­spielauf­führungen bis 1558 gilt.[59] Das Sterzinger Neidhartspiel und Sze­nar wurden auf einem durch Schrannckn abgesteckten Platz auf­ge­führt;[60] gleichwohl wird das Argument der zu großen Kälte bei ei­ner Aufführung im Freien (Feb­ruar oder März) durch be­zeug­te Auf­führungen von Spielen im Winter entkräftet.[61] Die Spie­ler des Sterzinger Szenars zogen in einer be­stimmten Ord­nung zum Freilichtplatz ein, was an pro­zes­sua­le Auftritte der geistlichen Spiele erinnert: Es sollten die pfeyffer mit begleitenden Ord­nungs­kräf­ten voran gehen, „das Volck aus dem wege zeweysn“ (das Volk aus dem Weg zu weisen), da­nach folgten der Precursor und in hie­rar­chischer Abfolge die restlichen Personen (Margetts 1982, 123–124, 1–21). Dieser prozessionsartige Einzug ist auch in anderen Spie­len der Sterzinger Spieltradition belegt, so im Spiel ‚Rex Viole‘.

Ordo processionis: primoprocedunt comes et miles, deindeduos Juuenes post portantes duosgladios, post modum seruus regis cumprecursore habentes baculos, et postmodum Juuenis post regentem por[-]tans in manibus suis gladiumnudum, deinde rex et post regemseruus comitis et militis, deindefilia regis, quam ducit studens, deinderegina, quam domicellus dusit, deindedue virgines, seruus domicelli et studentisducentes, Tandem rusticus cum amasia sua,finaliter seruus rustici cum Matrerusticy et ante filiam regis lutifigulus(Bauer 1982, 268–269, 1086–1100)
(Prozessionsordnung. Voran gehen der Graf und der Ritter, dann zwei junge Männer, die zwei Schwerter tragen, danach ein Diener des Königs mit dem Precursor, beide mit Stäben, dann nach dem Spielleiter ein junger Mann, der in den Händen ein bloßes Schwert hält. Dann der König und nach ihm die Diener des Grafen und des Ritters, dann die Tochter des Königs, geführt vom Studenten, dann die Königin, geführt vom Höfling, dann zwei Jungfrauen, geführt von den Dienern des Höflings und des Studenten. Schließlich der Bauer mit seiner Liebschaft, zuletzt der Knecht des Bauern mit dessen Mutter und vor der Königstochter [noch] der Lautenspieler.)

Wenn John Margetts die Frage aufwirft, ob Bauern im Publikum der Neidhartspiele gewesen seien, die an der Ko­mik teilhaben konn­ten,[62] so ist dagegen zu halten, dass das Publikum der Neid­hartlieder in höfischen Kreisen zu suchen ist. Jöst vermutet, „daß auch bei den Spie­len zu­nächst nur Hofkreise als Zu­schauer auf­tra­ten, in zunehmendem Maße dann auch Bür­gerkreise mit den Aufführungen an­­ge­spro­chen wor­den sind.“[63] Als Publikum des Großen Neidhartspiels ad­ressiert „der vor lauffer“ (Precursor) die Adelskreise („Fürsten, Grafen, Herren, Ritter vnd ‘ritters kind‘“), aber auch „kauflewt“, die jedoch bestimmte Kriterien erfüllen müssen, nämlich, dass sie „mit hübschait/ Sich ziern künen jn hohe klaid, wol geperen und guten lewten hoffieren“ (mit Eleganz in vornehmen Kleidern erscheinen, sich anständig gebärden und wohlgeborenen Leuten den Hof machen) können (Margetts 1982, 17, 2–16).

[53] Arnheim/Arnhem [1395] „Primo te Vastelavont [Februar 23] die gesellen spoelden her Nyters spil 12 quarten [Wein], 3 lb 4ß.“; [1419] nach Februar 2: „Den gesellen die her Nytarts spoel spoelden 25 quarten ad 3 bl 5 fl.“ (Simon 2003, 367, Nr. 2 und 369, Nr. 19).

[54] Simon 2003, 370, Nr. 29; 425, Nr. 350 und 430, Nr. 381; 370, Nr. 31; 443, Nr. 461; 444, Nr. 462; 447, 477–478; 480–483; 385, Nr. 120; 393, Nr. 160; 378–379, Nr. 67 und 68; 378, Nr. 64.

[55] Der Brief Ma­xi­milians ist ab­ge­druckt bei Simon 2003, 392, Nr. 154.

[56] Glier 1965, 555.

[57] Vgl. Böckmann 1949, 187–188.

[58] Vgl. Jöst 1976, 124 ff.; Simon 1968, 458–474.

[59] Vgl. Simon 2003, 24. Mit dem Zeitpunkt der fastnächtlichen Aufführungen im Tiroler Gebiet beschäftigt sich Graß 1956/57, 204–237: „Unter der Regierung Erzherzog Ferdinand II. von Tirol er­ho­ben Kirche und Verwaltungsbehörden ernsthafte Bedenken gegen die volkstümlichen Mummereien, beson­ders ge­gen die lustigen Volksgewohnheiten während der Fastenzeit“ (214). Ein Dekret der landesfürstlichen Re­gie­rung aus dem Jahre 1569 fordert dementsprechend die Verlegung des Brauchs in die Zeit vor Aschermittwoch (215), ohne den Brauch selbst zu problematisieren.

[60] Vgl. Margetts 1982, 276. Der Platzbedarf war enorm durch die vielen zeitgleich agierenden Per­so­nen (und die Sitze für etwa 60 Spieler) gerade bei Tänzen oder Kämpfen.

[61] Vgl. Simon 1977, 97.

[62] Vgl. Margetts 1982, 264–265 und ferner Margetts 1975, 158.

[63] Jöst 1976, 91.