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„Mehrfacher Sinn“: Jacob Obrechts Missa Salve diva parens und die Königskrönung Maximilians

Birgit Lodes
  • Entstehungsanlässe von (spät-)mittelalterlichen Kompositionen

    Für Kompositionen aus der Zeit des (Spät-)Mittelalters ist es selten möglich, genaue Entstehungszeiten oder gar -anlässe nachzuweisen. Am ehesten gelingen solche Verortungen noch im Bereich der sogenannten „Staatsmotette“[1], wenn in den spezifisch für den Anlass gedichteten lateinischen Texten konkrete Namen oder Ereignisse angesprochen werden (» D. Isaac und Maximilians Zeremonien, » I. Isaac’s Amazonas, » D. Albrecht II. und Friedrich III.). Kompositionsanlässe für Vertonungen des Ordinarium Missae („Messvertonungen“) lassen sich hingegen äußerst selten bestimmen. Durch den feststehenden liturgischen Text eignen sie sich grundsätzlich für jedwede Messfeier, die mehrstimmig ausgestaltet werden soll.

    Gleichwohl gibt es Möglichkeiten, die Entstehungszeit einer Komposition – etwa codicologisch – einzugrenzen und über die Verwendung von spezifischem textlichem und musikalischem Material Aussagen darüber zu treffen, an welchen Tagen eine Messe passender Weise erklungen sein mag. Die Verwendung einer liturgischen Melodie (z. B. für Ostern, Weihnachten, Marienfeste, bestimmte Heilige) als Cantus firmus, kann auf den gottesdienstlichen Zusammenhang verweisen, für den die Vertonung entstand. Manchmal lässt sich auf diese Weise sogar eine Verbindung zu genau datierbaren Messenstiftungen herstellen.[2]

    Auf einem solchen Wege soll im Folgenden eine Kontextualisierung für Jacob Obrechts Missa Salve diva parens vorgeschlagen und das zugrundeliegende Indizienmaterial präsentiert werden – freilich im Wissen um die Tatsache, dass es sich dabei allenfalls um eine gut begründete Hypothese, nie aber um einen „Beweis“ handeln kann. Es soll aber an diesem Beispiel auch demonstriert werden, dass solche (hypothetischen) Verortungen Perspektiven für neue Deutungsmöglichkeiten eröffnen.

  • Jacob Obrechts Missa Salve diva parens und Erzherzog Maximilian

    Obrechts Missa Salve diva parens eröffnet das Chorbuch » A-Wn Mus.Hs. 15495, das für Maximilian I. um 1508-1510 im Zusammenhang mit seiner Reise in die Niederlande als frisch proklamierter Kaiser und dem Abschluss der „Liga von Cambrai“ (10. Dezember 1508) hergestellt wurde. Für diese Prachthandschrift wurde generell Repertoire ausgesucht, das in Beziehung zu Maximilian selbst oder seiner Tochter Margarete stand (dazu » D. Musikalische Huldigungsgeschenke, Kap. Zum Repertoire der Handschrift A-Wn Mus.Hs. 15495). Überhaupt ist innerhalb des burgundisch-habsburgischen Handschriftenkomplexes die erste Komposition eines Codex meist die für den Widmungsempfänger beziehungsreichste. Die Eröffnungsseite ist üblicherweise auch am reichsten illuminiert, und zwar nicht selten mit den Wappen der Geschenksempfänger – wie hier mit denjenigen Kaiser Maximilians I. und seiner (zweiten) Frau Bianca Maria Sforza (» Abb. Kyrie Salve diva parens). Im Falle von A-Wn Mus.Hs. 15495 fällt besonders auf, dass die Messe Salve diva parens, im Unterschied zum folgenden Repertoire, schon recht betagt (ca. 25 Jahre alt) war und im Zuge der Kopiatur eigens einer modernisierenden Überarbeitung unterzogen wurde (dazu » C. Medien mehrstimmiger Vokalmusik).

    Dieser Befund deutet darauf hin, dass die Messe mit einem besonderen Ereignis im Leben Maximilians in Verbindung gestanden haben muss: Warum sonst sollte man so ein vergleichsweise „altes“ Werk beziehungsvoll an die Spitze der explizit für Maximilian zusammengestellten Handschrift stellen und dafür sogar eigens eine Modernisierung anfertigen?

    Die Missa Salve diva parens wurde bereits Ende 1487 oder Anfang 1488 in Rom im Chorbuch » V-VCbav (ehemals I-Rvat) Capp. Sist. 51 aufgezeichnet[3] – möglicherweise brachte Obrecht selbst sie Anfang 1488 dorthin mit.[4] Mit dieser Entstehungszeit reicht diese Messe in eine Zeit zurück, aus der wir außerordentlich wenig über die Hofmusik Maximilians wissen. 1482 war seine Ehefrau Maria von Burgund bei einem Reitunfall tödlich verunglückt; Maximilian oblagen nun (als Vormund seines vierjährigen Sohns Philipp) die burgundischen Regierungsgeschäfte. Die bereits 1477 von Marias Vater übernommene, äußerst renommierte burgundische Hofkapelle mit mehr als 20 Sängern scheint Maximilian in dieser Zeit kriegsbedingt vernachlässigt zu haben, und auch über das potentielle höfische Musikrepertoire der 1480er Jahre wissen wir so gut wie nichts.[5] Ein beredtes Zeugnis von Marias und Maximilians (Marien-)Frömmigkeit, die ihren Ausdruck auch in einer täglichen mehrstimmigen Marienmesse fand, ist die äußerst reich ausgestattete Messenstiftung Marias von Burgund für die Brügger Marienkirche, die Maria auf dem Totenbett verfügte und um deren Umsetzung sich Maximilian kümmerte.[6] Das gesungene Repertoire ist aber auch hier nicht bekannt.

    Im Herbst 1485 baute Maximilian die burgundische Hofkapelle im großen Stil erneut auf. Im Blick auf das Wiedersehen mit seinem Vater Kaiser Friedrich III. sowie auf die erhoffte Königskrönung rekrutierte er, wie der burgundische Hofchronist Jean Molinet (1435–1507) schildert, aus ganz Europa die besten und erfahrensten Sänger und kleidete sie kostbar in Signalrot.[7] Die Kapelle gestaltete die monatelangen Festivitäten rund um die Königswahl und Königskrönung mit und bestritt mit Maximilian auch die anschließende Reise durch das Artois, Flandern und Brabant. Danach versiegen die Zeugnisse wieder – mit dem burgundischen Erbfolgekrieg und dem anhaltenden Krieg gegen Frankreich herrschten ein weiteres Mal politisch schwierige Zeiten. Belegt ist erst wieder, dass Maximilian, als er nach seiner Gefangenschaft in Brügge (Januar bis Mai 1488) Ende 1488 die Niederlande verließ, mehrere Hofkapellmitglieder mit einer größeren Zahlung entschädigte (» I. Hofkapelle Maximilians). Anfang der 1490er Jahre übernahm sodann sein Sohn Erzherzog Philipp offiziell die burgundische Kapelle.[8]

    Die von der exponierten Position im Prachtchorbuch A-Wn Mus.Hs. 15495 suggerierte Verbindung von Obrechts Missa Salve diva parens zu Erzherzog bzw. König Maximilian ist angesichts des Quellenverlusts der burgundisch-habsburgischen Hofkapelle der 1480er Jahre bemerkenswert: Damit ist zumindest ein Werk greifbar, das mit großer Wahrscheinlichkeit zum Repertoire dieser Kapelle in den späteren 1480er Jahren gehört hat. Zudem war man in der Forschung bislang nicht von einer Verbindung Maximilians zu Obrecht (c. 1457/58–1505), der ab ca. 1480 erste Messvertonungen vorlegte, ausgegangen (» G. Jacob Obrecht).

    Darüber hinaus steht die früheste Aufzeichnung der Messe (in I-Rvat Cap. Sist. 51 Ende 1487/Anfang 1488) in zeitlicher Nähe zu einem großen Staatsereignis im Leben Maximilians: seine Königskrönung im Frühjahr 1486 in Aachen. Auch dass die zweite frühe Aufzeichnung in einer fragmentarisch erhaltenen Handschrift (» A-LIb Hs. 529; » C. Medien mehrstimmiger Vokalmusik, Kap. Handschriftliche Quellen zur Missa Salve diva parens) notiert ist, die wohl dem Umfeld Maximilians I. nach seiner Rückkehr ins Reich (ca. 1490–1492) zuzuordnen ist, legt eine entsprechende Verbindung durchaus nahe. Diese Umstände berechtigen zu der Hypothese, dass Obrecht die Missa Salve diva parens im Kontext der Königskrönung von Maximilian I. komponierte.

  • Kaiser Friedrich III. und Erzherzog Maximilian 1485/86: Wiedersehen – Königswahl – Reise in die Niederlande

    Über die lang ersehnte und von Maximilian und seinem Hof äußerst sorgfältig vorbereitete Königskrönung sind wir durch die Chronik des burgundischen Hofsekretärs Jean Molinet gut unterrichtet. Sie wurde schließlich zu einem der glanzvollsten Momente in Maximilians Leben. Bereits im Herbst 1485 wurde mit den äußerst aufwändigen Reisevorbereitungen begonnen.[9]

    Maximilian hatte seinen Vater, Kaiser Friedrich III., seit seinem Weggang in die Niederlande, also seit acht Jahren, nicht mehr gesehen. Die seitdem erste Begegnung der beiden Herrscher und ihrer Kapellen fand in Aachen statt: Maximilian traf dort am 12. Dezember, Friedrich III. am 22. Dezember 1485 ein. Man feierte das Weihnachtsfest mit mehreren Messen im Aachener Mariendom und besichtigte die Heiligtümer der Kirche.[10]

     

    Abb. Das Münster von Aachen

    Abb. Das Münster von Aachen

    Architekturskizze des Aachener Münsters von Albrecht Dürer aus dem sogenannten Silberstiftskizzenbuch, das während seiner Reise in die Niederlande entstand. Dürer erlebte in Aachen am 23. Oktober 1520 die Königskrönung Karls V.

    (British Museum, Department of Prints and Drawings. © Wikimedia Commons.)

     

    Mit dem Aachener Mariendom (»Abb. Das Münster von Aachen) hatte man für das inszenierte Wiedersehen einen spirituell wie politisch höchst bedeutungsvollen Ort gewählt. Der Mariendom war zum einen eines der größten Pilgerzentren der Zeit: Unter den herausragenden Reliquien befanden sich nicht zuletzt das Kleid, das Maria angeblich bei der Geburt Christi getragen hatte, und die Windeln des Jesuskindes.[11] Das Lied Hilf, Frau von Ach (» Abb. Hilf, Frau von Ach), das in das Repertoire der maximilianischen Hofkapelle gehört,[12] spiegelt diesen Kontext: Der „arme Sünder“ ruft hier die Heilige Mutter Gottes von Aachen („Ach“) an. Das homorhythmische, von Pausen durchsetzte Deklamieren aller Stimmen am Schluss „[Gnad mir nit] spar || und nimm mein wahr || Frau, durch dein sieben Schmerzen“ erinnert an ähnlich eindringliche musikalische Gesten in anderen Liedern aus der zeitgenössischen Frömmigkeitspraxis, wie etwa in Maria zart (» Hörbsp. ♫ Maria zart).

     

     

    Zudem war der unter Karl dem Großen gebaute Dom zu Aachen der traditionelle Ort der Königskrönungen im Heiligen Römischen Reich. Insofern war der Ort des Treffens zutiefst symbolisch: Erst seit kurzem (ca. Oktober/November 1485) hatte sich Kaiser Friedrich III. angesichts der prekären politischen Situation im Reich dazu entschlossen, bereits zu seinen Lebzeiten seinem Sohn Maximilian zur Königswürde zu verhelfen – was Maximilian selbst schon seit Jahren angestrebt hatte.[13]

    Epiphanias (6. Januar, Dreikönigstag) feierte man, wiederum symbolträchtig, in Köln, dem Ort der Verehrung der Gebeine der Heiligen Drei Könige. Am 16. Februar 1486 wurde Maximilian dann von den Kurfürsten am Reichstag in Frankfurt endlich zum König gewählt – wodurch er gleichzeitig als vorgesehener Nachfolger im Kaisertum bestätigt wurde; es folgte die symbolische Altarsetzung.[14]

    Nach dem Osterfest reiste der Tross zurück nach Aachen, wo ein ausnehmend prunkvoller Adventus (Einzug in die Stadt) inszeniert wurde. Dabei begleiteten neben der Gruppe der Ordensgeistlichen und Aachener Bürger mit ihren „Achhörnern“ unter anderem auch Trompeter und Pauker die unter einem Baldachin getragene Karlsreliquie.[15] Die feierliche Krönungszeremonie im Aachener Mariendom bzw. der Pfalzkapelle Kaiser Karls des Großen fand am 9. April 1486 statt; am Folgetag wurden Maximilian und Friedrich dort – wie bereits zu Weihnachten 1985 – zudem außertourlich die Reliquien gezeigt.[16]

    Doch damit war den seit Monaten anhaltenden festlichen Zeremonien, Empfängen und aufwendig gestalteten religiösen Feiern immer noch kein Ende gesetzt. Ab dem 20. Juli bis zum 16. Oktober 1486 reiste der frisch gekrönte König Maximilian mit seinem Vater und seinem Sohn Erzherzog Philipp mitsamt ihren drei Hofstaaten (und wohl auch den Kapellen) auf Kosten Maximilians durch die niederländischen Städte und Provinzen. Sie verweilten längere Zeit in Leuven, Brüssel, Gent und Brügge (1.–13. August), wo ihnen ein triumphaler Empfang zuteil wurde;[17] zudem folgten (nach mehrfachen kurzen Trennungen, da Maximilian ins südliche Kriegsgebiet ziehen musste) Aufenthalte in Lille und Antwerpen. Die Gegenwart des Kaisers beförderte das Ansehen Maximilians in den Niederlanden erheblich und fungierte gleichzeitig als Machtdemonstration gegen den Kriegsgegner Frankreich.[18] Die Kosten für die äußerst aufwendig inszenierte Krönungsreise, die insgesamt fast ein Jahr lang dauerte, waren immens.

  • „Mehrfacher Sinn“ von Text und Musik der Missa Salve diva parens

    In einigen Handschriften ist in der Tenorstimme von Obrechts Missa Salve diva parens teilweise in Rot ein Text unterlegt, der nicht zum Messordinarium gehört (» Abb. Kyrie Salve diva parens). Solche Textangaben sind üblicherweise ein Hinweis darauf, über welches Material – das heißt, welche liturgische, geistliche oder weltliche Melodie – eine Cantus firmus-Messe konstruiert ist. Mit dem gattungstypisch anmutenden Salve diva parens (das in A-Wn Mus.Hs. 15495 zudem als Überschrift der Messe notiert ist) stehen wir aber vor einem Rätsel: Dieser so prominent angegebene Text ist nämlich anderweitig nicht überliefert.[19]

     

    Text Salve diva parens

    Salve diva parens prolis amoenae,

    Sei gegrüßt, göttliche Mutter des lieblichen Sprösslings,

    Aeternis meritis virgo sacrata,

    durch ewige Verdienste heilige Jungfrau,

    Qua lux vera, deus, fulsit in orbem

    durch welche das wahre Licht, Gott, in den Erdkreis strahlt

    Et carnem subiit rector Olympi.

    und der Lenker des Olymp Fleisch geworden ist.

     

    In der ersten Vershälfte einem Hexameter gleich (insofern formidentisch mit den ersten Worten des Introitus der Marienmesse Salve sancta parens), ist sein Metrum ein seltenes, nachklassisches, das sicherlich in den Kontext humanistischer Dichtungen gehört.[20] Auch inhaltlich nimmt der Text auf Salve sancta parens Bezug. Bemerkenswerterweise weichen die Eingangsworte in dem Wort „diva“ jedoch von Salve sancta parens ab. „Diva“ ist für Maria kein typisches Epitheton wie „sancta“ oder „vera“. Hier wird explizit die göttliche Mutter, danach ihr göttlicher Sohn begrüßt – was nicht ausschließlich christliche, sondern auch mythologische Anklänge hat (vgl. etwa Vergils Aeneis).

    Der Herrscher wird überraschenderweise mit dem nichtchristlichen Bild des „Lenkers des Olymp“ („rector Olympi“) angesprochen, wodurch neben der erwarteten Bedeutung „Jesus“ auch „Jupiter“ (der eigentliche „rector Olympi“[21]) mitschwingt bzw. die beiden Vorstellungen ineinandergleiten. Und auch für „Olympi“ hätte es selbstverständlich die christlich üblichere Alternative „caeli“ gegeben.

    Bei Salve diva parens handelt es sich also um einen Text, der zwar formal und inhaltlich liturgische Topoi aufgreift, aber keineswegs liturgisch ist, sondern auf kunstvollste Weise neu geschaffen (» I. Humanisten). Christliches und Antik-Mythologisches sind miteinander vermischt: [22] Inhaltlich spielt der Text, in dem es um die Erleuchtung der Welt durch die Fleischwerdung des Herrschers geht, nicht nur auf Gott und Christus, sondern auf den Herrscher allgemein an. Diese Eigenheit ist vor dem Hintergrund einer reinen Marienmesse aber ebenso schwer verständlich wie das kunstvoll-gesuchte Metrum des Textes.

    So wie der neulateinische Text bewusst ambigue gehalten ist (indem er christlich-liturgische wie mythologisch-klassische Begriffe verwendet), ist auch die musikalische Konstruktion eigentümlich doppeldeutig. Einige Wissenschaftler haben darauf hingewiesen, dass einerseits in den ersten Tenortönen der einzelnen Messsätze eine fixe Melodie als Cantus firmus wiederzukehren scheint. Dies entspricht auch der Erwartungshaltung an die legitimierte Konstruktion einer zeitgenössischen Cantus-firmus-Messe und wird durch die Überschrift entsprechend suggeriert. Andererseits aber wird der Cantus firmus in der Komposition offensichtlich nicht beibehalten, vielmehr scheint die Messe über weite Strecken eher frei komponiert bzw. setzt rein musikalische Konstruktionsprinzipien um (etwa motivisch-additive Konstruktionen[23] und in-sich-drehende Wendungen; » Hörbsp. ♫ Qui cum Patre).

    Sowohl der erklingende Text, als auch die musikalische Struktur von Salve diva parens arbeiten also mit dem Prinzip der Überlagerung zweier Ebenen. – Vergleichbares ist aus dem Kontext der Herrscherinszenierung bereits seit dem Mittelalter bekannt und erfährt gerade bei Maximilian I. eine besondere Blüte (vgl. Kap. „Mehrfacher Sinn“: Maria als Mutter des zukünftigen Herrschers).

  • „Mehrfacher Sinn“: Maria als Mutter des zukünftigen Herrschers

    Im Weißkunig, der von Maximilian selbst mitverfassten deutschsprachigen (Auto-) Biographie, sind zahlreiche Passagen den Erzählungen des Lebens Jesu nachgebildet. Maximilian wird als gottgleicher Welterlöser inszeniert – was zwar in der überkommenen Tradition der Herrscherlegitimation (dass alle rechtmäßigen Könige und Kaiser von Gott erwählt und eingesetzt sind[24]) steht, gleichzeitig aber in Plastizität und Intensität deutlich darüber hinausgeht. So etwa hat die Schilderung der Geburt des Weißkunigs das Lukasevangelium zum Vorbild: Ein hell strahlender Komet erscheint als ein besonderes „zaichen und offenbarung“, und die Mutter gebiert fast ohne Schmerzen.[25]

     

    Abb. Geburt des Jungen Weißkunig

    Abb. Geburt des Jungen Weißkunig

    Geburt des Jungen Weißkunig (Maximilian) als Christus. Holzschnitt aus » A-Wn Cod. 3033, fol. 14v (um 1515?), der sogenannten Handschrift „F“ des Weißkunig mit 140 Holzschnitten (Probedrucken) und handschriftlichen Bildtiteln.

    (Mit Genehmigung der Österreichischen Nationalbibliothek.)

     

    Besonders augenfällig wird dies im zugehörigen Holzschnitt, in dem die Geburt Christi und diejenige Maximilians ineinandergleiten (» Abb. Geburt des Jungen Weißkunig). Obwohl es sich eindeutig um Maximilians (alias Weißkunigs) Geburt handelt, steht auf der Wiege „IHS“ – also das Nomen sacrum „Jesus“ – und die Beischrift lautet: „Wie die kunigin schwanger ward und ain sun geporen ward.“[26] Durch diese Gleichsetzung, dieses selbstverständliche Anknüpfen an die Heilige Sphäre, erfährt der weltliche Herrscher göttliche Legitimation.

    Auch in der lateinischen, von Joseph Grünpeck verfassten Biographie, der Historia Friderici et Maximiliani,[27] ist die göttliche Sendung bereits bei Maximilians Geburt herausgestellt. In der Albrecht Altdorfer zugeschriebenen Federzeichnung „Das erste Bad des kleinen Maximilian“ steht (!) der Neugeborene in dem Badezuber, neben ihm seine wiederum mit „IHS“ markierte Wiege.[28] Überhaupt werden in der Schilderung der Kindheit und der Lebensgeschichte Maximilians im Weißkunig, in der Historia und im Theuerdank viele weitere Parallelen zu Episoden aus dem Leben Jesu geknüpft – angefangen vom Hüpfen des ungeborenen Kinds im Leib der Mutter bis hin zur Kreuztragung,[29] so dass der Kunsthistoriker Larry Silver sein Erstaunen nicht verhehlen kann: „What is so impressive […] is the equation of Maximilian with Christ himself, of his mother with Mary, and of his baptizer with Simeon.“[30]

    Während viele Ahnen Maximilians erst im Laufe seines Lebens zunehmend bemüht und inszeniert wurden, war die Parallelsetzung ,Maximilian als Jesus‘ eine bereits in burgundischer Zeit etablierte: Jean Molinet, dem burgundischen Hofschreiber, war es ein besonderes Anliegen, den aus der Fremde kommenden jungen Herrscher mit allen rhetorischen Mitteln kunstvoll als Retter zu legitimieren. In seinen Chroniques kleidete er Maximilians Werbung in die Worte der Verkündigung Mariae in der Bibel (die Herzogin Maria wird angesprochen mit „Tu es bien heurée entres les femmes“ – und sie antwortet entsprechend als Magd des Herrn) und verkündete die Ankunft des Erlösers: Maximilian komme gegen den Widerstand böser Mächte als „lux in tenebris“ nach Burgund[31] (vgl. die 3. Zeile des Textes Salve diva parens: „Qua lux vera, deus, fulsit in orbem“; siehe dafür Kap. „Mehrfacher Sinn“ von Text und Musik der Missa Salve diva parens).

    Im Kontext der Königskrönung war diese Stilisierung für Molinet vor dem Grundgedanken der Legitimation von besonderer Relevanz. Er inszenierte Maximilian als Messias: „Der Höchste König der Könige, der Herrscher der Welt, hat uns gnädiglich angeblickt und, um uns aus unserer Gefangenschaft zu retten, eine reine Magd namens Maria ausgewählt, von königlichem Geschlecht, wie eine Lilie unter Dornen, und hat von seinem herrschaftlichen Sitz den Erzherzog Maximilian in unsere Gegend herabsteigen lassen, seinen sehr geliebten Sohn, der, nachdem er sich in diesem mühsamen Jammertal voller Feinde fand, mit Hilfe wohlgesinnter Menschen die Feinde in Bann geschlagen hat […]“.[32] Es folgen eine Vielzahl von Bildern aus dem Leben und Leiden Jesu, unter anderem: Maximilian habe das Kreuz getragen, größtes Leid auf sich genommen, sei auferstanden, mit höchstem Glanz zu seinen Eltern und Freunden aufgefahren und habe zu seinem Vater gesagt: „Pater, manifestavi nomen tuum hominibus.“ (Joh. 17,6).[33]

    Molinet beendete seine Berichterstattung von der Königskrönung (einschließlich der Antrittsbesuche in den flandrischen Städten) mit einem umfangreichen, „Le Paradis Terrestre“ betitelten Kapitel, das als Herzstück seiner Chroniques überhaupt angesehen werden darf.[34] Darin vollzieht er eine übergreifende Deutung der Ereignisse und vergleicht den Kaiser (Friedrich III.), den König (Maximilian) und dessen Sohn Philipp mit der Heiligen Dreifaltigkeit: Vater, Sohn und Heiliger Geist, wobei bei letzterem freilich die Parallele am schwierigsten ist. Philipp, so Molinet, würde zwischen Vater und Sohn hin- und hereilen und fliegen wie der Heilige Geist. Und damit nicht genug; Molinets Parallelisierung von Kaiser, König und Herzog mit der Dreifaltigkeit ist eingebettet in einen poetischen Gesellschaftsentwurf, den „ciel imperial“ (kaiserlicher Himmel), bei dem Mond, Merkur und Venus als nächststehende Planeten für die Bauern, den Handel und das Bürgertum stehen. Die Sonne, in der Mitte der Planeten, wird mit der Kirche und den alten Kirchenlehrern und Philosophen gleichgesetzt; der Mars mit dem Adel; Jupiter, als Sohn des Saturn und strahlendster Planet, mit den römischen Königen, unter ihnen besonders Maximilian; Saturn schließlich, der am weitesten entfernte Planet, mit dem Kaiser.[35]

    In mehrfacher Hinsicht fließen also bereits bei Molinet die Bilder ineinander, indem er für Maximilian sowohl sakrale als auch – in ebenso alter Tradition – mythische Rollen bemüht: Zum einen setzt er Kaiser, König und Herzog mit Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist parallel und stilisiert die burgundische Herzogin Maria analog zur Mutter Gottes als erwählte Frau. Zum anderen vergleicht er die gesellschaftliche Ordnung mit der Ordnung der Gestirne. Die Assoziation „Jupiter“ schwingt, wie oben gezeigt, auch in der Formulierung „rector orbis“ im Text Salve diva parens mit und sie kehrt in der Maximilian-Panegyrik häufig wieder, ganz prominent in Conrad Celtis’ auf Friedrich III. verfassten Dichterkrönungsode von 1487, in der er die gemeinsame Herrschaft von Kaiser und König charakterisiert.[36]

    Mithin wurde in Molinets Chroniques bereits die Basis für das geschaffen, was Maximilian als Selbstbild – freilich in Fortsetzung der mittelalterlichen Stilisierung des weltlichen Herrschers zum „christomimetes“ – Zeit seines Lebens mit besonderer Vehemenz vertrat. Er verglich mit Vorliebe, so Hermann Wiesflecker, „die Bürden und Sorgen seines Amtes mit den Leiden Christi, oder mit dem ägyptischen Horus und Osiris oder mit Herkules […]. Unter dem Bild des Herkules Germanicus ließ sich der Kaiser als Erlöser Deutschlands verehren. Gottesgnadentum, Gotteskindschaft und Einheit mit Gott machten in seiner religiösen Vorstellung offenbar keinen wesentlichen Unterschied. Die Wiedergeburt des Menschen zur Gottähnlichkeit entsprach ebenso humanistischen Vorstellungen wie die ,Vergottung‘ den Gedanken der deutschen Mystik.“[37]

  • Marien-, Gottes- und Herrscherlob in der Missa Salve diva parens

    Überträgt man die in Berichterstattung, im Schrifttum und in Bildern dokumentierte Parallelisierung von Jesus und Maximilian in ihrer Rolle als Retter der Welt und Friedensbringer auch auf Obrechts Missa Salve diva parens, so wird diese Marienmesse, die die Menschwerdung „des Lenkers des Olymp“ thematisiert, gleichzeitig eine Messe für den neuen König Maximilian.

    Der neuhumanistische Text Salve diva parens ist bemerkenswerterweise nur in einigen der zahlreichen Quellen den Noten unterlegt – und zwar ausschließlich in Handschriften, die direkt (wie A-Wn Mus-Hs. 15495) oder indirekt (wie der relevante Faszikel in » D-LEu Ms. 1494)[38] mit Maximilian in Verbindung stehen.[39] Zudem ist der Text in diesen Quellen nicht nur als Incipit überliefert – wie als Verweis auf einen Cantus firmus üblich –, sondern  Silbe für Silbe dem Notentext vollständig unterlegt (» Abb. Kyrie Salve diva parens). Dies weist darauf hin, dass er in der Aufführung in der jeweiligen Stimme gleichzeitig zum Messentext erklang – mithin offenbar im maximilianischen Umfeld sehr wohl von Bedeutung war. Dieser Text, der durch sein gesuchtes Versmaß und das Aufgreifen nichtchristlicher Bilder über übliche Marientexte eindeutig hinausgeht, lässt sich als Beispiel der für Maximilian I. so charakteristischen Überblendungstechnik (bei Jan-Dirk Müller: „mehrfacher Sinn“[40]) verstehen. Denn man kann ihn nicht nur auf die Heilige Muttergottes Maria und die Fleischwerdung des Erlösers Jesus Christus und seine Herrschaft beziehen, sondern ebenso auf die Installation des neuen Königs Maximilian I. und seine erhoffte Rolle als Friedensbringer in den burgundischen Niederlanden (vgl. Kap. „Mehrfacher Sinn“ von Text und Musik der Missa Salve diva parens und Kap. „Mehrfacher Sinn“: Maria als Mutter des zukünftigen Herrschers).

    In der künstlerischen Gestaltung der für Maximilian hergestellten Prachthandschrift » A-Wn Mus.Hs. 15495 treten die beiden ineinandergreifenden Ebenen besonders deutlich zutage (» Abb. Kyrie Salve diva parens). Die erste Assoziation beim Anblick der Illuminationen der eröffnenden Doppelseite und zugleich des Beginns der Aufzeichnung der Missa Salve diva parens (A-Wn Mus.Hs. 15495, fol. 1v–2r) ist sicherlich Weihnachten. Im oben links beim Discantus stehenden Bild schenkt Maria dem neuen Herrscher, Jesus, das Leben – und im Bild oben rechts beim Contratenor verehrt Maximilian (im echten Portrait dargestellt) kniend die Mutter Gottes. Über dem betenden Maximilian, am oberen Seitenrand, stehen zudem die Worte „O mater dei memento mei“.[41] Diese Worte, die in der Messe selbst nicht vertont sind, dienen oft als Schlusswendung für Mariengebete. Durch die Platzierung auf der individuell illuminierten Eröffnungsseite ersuchte Maximilian die Gottesmutter Maria ganz persönlich um sein Heil. (Auch ikonographisch sind der kniende Kaiser und die kniende Maria einander spiegelbildlich zugeordnet.)

    Die zweite Interpretationsebene wird durch die Platzierung des kaiserlichen Wappens Maximilians I. als Tenor-Initiale transportiert: Hier wird Maximilian nicht als Person, sondern als Herrscher thematisiert. Und genau an dieser Stelle steht der Text „Salve diva parens“ (der vermeintlich mit einer cantus-firmus-Melodie verknüpft ist). Das heißt, Maximilian als (zur Entstehungszeit dieser Handschrift sogar kaiserlicher) Herrscher begrüßt die „Salve diva parens“, die göttliche Mutter, die ihm im übertragenen Sinne die Herrschaft geschenkt hat.[42]

    Jede Aufführung dieser Messe fungierte sodann nicht nur als Lobpreis der Jungfrau Maria und ihres Sohnes Jesu als Herrscher des Erdkreises, sondern ebenso als Gebet für den neuen Herrscher Maximilian I. – als Person wie als König. Bezeichnenderweise wurde gerade im Spätmittelalter die mehrstimmige Musikpflege als repräsentatives, symbolisches Machtinstrument wahrgenommen – wovon der aufwendige Unterhalt von großen Kapellen und Skriptorien sowie erhaltene Medien wie die prachtvollen Alamire-Chorbücher ein eindrucksvolles Zeugnis ablegen.

    Für seine lange Krönungsreise 1485/86 scheute Maximilian keine Kosten und Mühen (vgl. Kap. Jacob Obrechts Missa Salve diva parens und Erzherzog Maximilian). Angesichts der Tatsache, dass er die niederländischen Stände soeben erst auf seine Seite gebracht hatte, Krieg mit Frankreich herrschte, und in den Erblanden König Matthias Corvinus im Sommer 1485 sogar schon in die Wiener Hofburg eingezogen war, war die Pflege seines Ansehens und die Demonstration von Stärke und Macht besonders nötig. In diesen Kontext gehört die Wiedererrichtung der burgundischen Kapelle. Molinet berichtet sogar, dass die neu aufgerichtete Kapelle bei den deutschen Herrschern großen Eindruck machte.[43] In einer Situation, in der Maximilian als legitimer König und zukünftiger Kaiser repräsentativ inszeniert werden sollte, hatte die Kapelle also eine geradezu staatstragende Funktion.

    Mit dem vorgeschlagenen Kontext der Krönungsfeierlichkeiten ist eine neuartige Deutungsperspektive für Obrechts Missa Salve diva parens eröffnet. Für welche Messfeier genau Obrecht die Messe komponiert hat, kann und muss dabei offen bleiben. Besonders naheliegend wären zwei Anlässe: Sie könnte für die Krönungsfeierlichkeiten im Mariendom zu Aachen gedacht gewesen sein, wo qua Ort die Symbolik der berühmten Marienkirche mit der der traditionellen Krönungskirche verschmolz. Obrecht selbst war aber höchstwahrscheinlich bei dieser Feierlichkeit nicht zugegen – es könnte allenfalls vorab bereits ein Auftrag an ihn ergangen sein. Ebenso plausibel wäre es, dass er die Messe während der sich unmittelbar an die Krönung anschließenden Niederlandreise von Maximilian I. und seinem Vater Friedrich III. komponierte, und zwar für deren Aufenthalt in der Stadt Brügge (vgl. Kap. Kaiser Friedrich III. und Erzherzog Maximilian 1485/86: Wiedersehen – Königswahl – Reise in die Niederlande), wo Obrecht seit 13. Oktober 1485 als Succentor an der Kirche St. Donatian tätig war.

    Musik im Gottesdienst fungierte im Spätmittelalter häufig nicht allein als Gottes-, sondern gleichzeitig auch als Herrscherlob. Beide Funktionen regten die Komponisten der Zeit gleichermaßen zur Schaffung herausragender Kunstwerke an. Insofern ist kein stilistischer Unterschied zwischen Musik zum Gotteslob und Musik zum Herrscherlob zu erwarten – und ein solcher findet sich in den zeitgenössischen Kompositionen auch nicht. Dies ist besonders deutlich, wenn im vertonten Text beide Sphären explizit benannt werden, wie etwa in Heinrich Isaacs Motette Virgo prudentissima (» D. Isaac und Maximilians Zeremonien, Kap. Komponiertes Herrscherlob: Isaacs Motette Optime divino … pastor) oder in Benedictus de Opitiis’ Motette Summe laudis o Maria (» D. Musikalische Huldigungsgeschenke, Kap. Gedrucktes mehrstimmiges Herrscher- und Marienlob). Ein weiteres Beispiel dafür stellt Obrechts weniger bekannte Komposition Omnis spiritus laudet dar,[44] die eine Reihe von Akklamationen und Gebetssätzen zwei- bis vierstimmig in Musik fasst und in der Art der Vertonung unverändert bleibt, egal ob von Gott Vater und Sohn, dem weltlichen König oder Maria die Rede ist.[45] Eine Verbindung mit Maximilians Krönungsreise in die Niederlande im Sommer 1486 vermute ich im Übrigen auch bei dieser Komposition.

    Wichtiger als die Suche nach konkreten Entstehungsanlässen scheint es, bei diesem Repertoire danach zu fragen, in welchen Kontexten, mit welchen Zielen und welchen Hörerwartungen das jeweilige Repertoire entstand. Der Versuch, auch als heutiger Hörer weltliche und geistliche Sphären wie im Mittelalter üblich zusammenzudenken, kann dabei ganz neue Wahrnehmungsdimensionen eröffnen.

[2] Grundsätzliches zur symbolischen Beziehung von Cantus firmus-Material und Messkomposition bei Kirkman 2010. Reinhard Strohm kann die Entstehung zweier Obrecht-Messen mit Stiftungen in Brügge plausibel machen (Strohm 1985], 40 f., 146 f.). Zu Obrechts Missa Sub tuum presidium, siehe » J. Körper und Seele.

[3] Roth 1998, bes. 46 f., 52 f., 55. Von Rom aus fand die Messe wohl Mitte der 1490er Jahre ihren Weg in das umfangreiche Chorbuch » I-VEcap 761. Zu Entstehungszeit und -umständen dieser Handschrift vgl. Rifkin 2009.

[4] Die Dokumente zur vermuteten Rom-Reise hat Rob C. Wegman zusammengestellt (Wegman 1994, 139–144), der aber davon ausgeht, dass die Messe zu dem Zeitpunkt schon in Rom vorlag.

[5] Messrepertoire der burgundischen Hofkapelle aus den 1460er und 1470er Jahren findet sich im Chorbuch » B-Br Ms. 5557 (Faksimile: Wegman 1989). Wahrscheinlich stehen auch die sechs anonym überlieferten L’homme armé-Messen aus dem Chorbuch » I-Nn Ms. VI E 40 im Zusammenhang mit der burgundischen Kapelle. – Die eng mit dem Hof in Verbindung stehenden „Alamire-Handschriften“ entstanden erst in bzw. nach der Regierungszeit von Philipp I. dem Schönen (» A-Wn Mus. Hs. 15495).

[7] Ausführliche Schilderung mit Namensnennungen von Sängern, deren Positionen und musikalischen Qualitäten bei Molinet 1935–1937, Bd. 1, 469 f.

[8] Üblicherweise wird als Datum der 17. November 1492 genannt (dazu Fiala 2015, 434); Honey Meconi (Meconi 2003, 20–23) interpretiert die überlieferten Zahlungsbelege anders und geht von einer Übernahme erst zum 30. September 1495 aus; vgl. Gasch 2015, bes. 363 f.

[9] Siehe die Schilderungen bei Molinet 1935–1937, Bd. 1, 469–471; vgl. Cuyler 1973, 32–35.

[10] Molinet 1935–1937,  Bd. 1, 474.

[12] Das Lied ist in zwei zeitgenössischen Quellen überliefert, die beide Repertoire vom Hofe Maximilians widerspiegeln (» B. Lieder 1450–1520, Kap. Aufschwung der Liedkunst unter Maximilian I.; » B. Lieder 1450–1520, Kap. Liederdrucke): in » D-As Cod. 2° 142a (fol. 69v–70r; das Tenor-Inzipit der sonst textlosen Aufzeichnung lautet „hilff fraw von Ach“) und im Liederbuch » Aus sonderer künstlicher art… (Augsburg: Erhard Oeglin 1512), wo das Lied nach dem Mariengruß Dich mütter gottes rüff wir an an zweiter Stelle steht.

[13] Wolf 2005, 98–102. Friedrich verlegte dafür den ursprünglich für Dezember 1485 in Würzburg geplanten Reichstag auf den Januar in Frankfurt am Main.

[14] Zur Königswahl Maximilians siehe ausführlich Wolf 2005, 100–122, hier bes. 115 f. Bei der Zeremonie der Altarsetzung wurde der neu gewählte König in der Tat auf den Altar, den Thron Christi, gesetzt; dazu ausführlich Bojcov 2007, 243–314: „Die Altarsetzung […] war Teil der Wahlprozedur und war am besten dazu geeignet, einen aus dem Kreis der mehr oder weniger Gleichen auszusondern und über sie [zu] erheben.“ (Bojcov 2007, 292).

[15] Dazu Schenk 2003, 307–313, 336–338; vgl. auch » D. Fürsten und Diplomaten auf Reisen.

[16] Molinet 1935–1937, Bd. 1, 474 und 511. – Die Aachener Heiltum-Wallfahrt fand üblicherweise alle sieben Jahre statt.

[17] Custis 1765, 68 f.; vgl auch Wolf 2005, 191–200.

[18] Wolf 2005, 197.

[19] Die Rekonstruktion des lateinischen Textes nach Staehelin 1975, 20–23.

[20] Der unterlegte Text, eine Art Hymnenstrophe, könnte eine humanistische Erweiterung des marianischen Hymnus O quam glorifica luce coruscas (zugeschrieben an Hucbald von Saint-Amand, 840–930), im gleichen seltenen Metrum (katalektischer Asclepiadeus minor) darstellen, zumal der – bekanntlich nicht rekonstruierbare – Cantus firmus der Messe Ähnlichkeiten mit jenem aus Févins Missa O quam glorifica aufzuweisen scheint (Strohm 1985, 148).

[21] „Rector“ kommt im Neuen Testament nicht vor, häufig aber bei Ovid, insbesondere bezogen auf Augustus und Jupiter; dazu Flieger 1993, 67–69.

[22] Vgl. Stieglecker 2001, u. a. 388–391; zur humanistischen Heiligenverehrung allgemein, ebenda, 17–122.

[23] Vgl. Wegman 1994, 179–183.

[24] Die aktuellen historischen Ereignisse haben ihre Vorbilder im Neuen Testament, die wiederum die heilsgeschichtliche Erfüllung von Ereignissen im Alten Testament darstellen. „Es findet also eine Legitimation des christlichen Herrschers aus dem Alten Bunde statt, die schon in karolingisch-fränkischer Zeit als gleichrangig neben die Legitimation aus dem antiken Imperium gestellt erscheint.“ (Cremer 1995, 88 f.).

[25] Maximilian I.: Weißkunig 1888, 47–49.

[26] Müller 1982, 147 f.; Dietl 2009, 37–40.

[27] Ca. 1513/14; Maximilian diktierte das Buch zum Teil und korrigierte es eigenhändig.

[28] » A-Whh Hs. Blau 9 Cod. 24, fol. 38r; dazu Silver 2008, 136 f., ebenda auch die Abbildung.

[29] Cremer 1995, bes. 88–99; Wiesflecker 1971, 65–67.

[30] Silver 2008, 137.

[31] Dazu Müller 1982, 147 f., 333; Wiesflecker 1971, 121, 131 f.; Molinet 1935–1937, Bd. 1, 338.

[32] Molinet 1935–1937, Bd. 1, 535 (in freier Übersetzung).

[33] „Ich habe Deinen Namen den Menschen geoffenbart, die Du mir aus der Welt gegeben hast.“ Mit diesen Worten bekundet im Johannesevangelium Christus selbst (hier Maximilian!), wessen wahrer Sohn er ist.

[34] Molinet 1935–1937, Bd. 1, 529–539; dazu Frieden 2013; Thiry 1990, 268–270.

[35] Molinet 1935–1937, Bd. 1, 533–539; dazu auch Müller 1982, 147.

[36] Ode 1,1 Caesar magnificis; dazu Mertens 2000, 74 f.; grundlegend zu diesem Themenkomplex: Tanner 1993; Seznec 1953.

[38] Im sogenannten Apel-Codex (» D-LEu Ms. 1494) scheint – vermittelt über das Hofrepertoire Friedrichs des Weisen, der spätestens ab 1490 in engstem Kontakt zu Maximilian stand – immer wieder Repertoire vom Hof Maximilians aufgenommen worden zu sein; dazu Lodes 2002, 256–258.

[39] Der Text könnte auch in der Handschrift » A-LIb Hs. 529 („Linzer Fragmente“) mit angegeben gewesen sein, nur ist hier zu wenig Musik erhalten.

[40] Zum „mehrfachen Sinn“ in spätmittelalterlicher Dichtung vgl. Wehrli 1984, bes. 236–270; Müller 1982, 146–148, auch 124–129.

[41] Die einzig weitere mir bekannte zeitgenössische Musikhandschrift, an deren Spitze die Worte „[O Mater dei] memento mei“ stehen, ist die ebenfalls in Petrus Alamires Werkstatt gefertigte Prachthandschrift B-Br 228. Dort sind die Worte der betenden Erzherzogin Margarethe, Maximilians Tochter, in den Mund gelegt; vgl. die Abbildung bei Blackburn 1997, 596 f., und Blackburn 1999, 188.

[42] Dazu u. a. Borghetti 2015; Borghetti 2008, bes. 208–214.

[43] „[…] lesquelz, ensamble unis, estoffoyent une très bonne chapelle dont il fut grandement honouré et prisiet des princes d’Alemaigne.“ (Molinet 1935–1937,  Bd. 1,  470).

[44] Edition in Maas 1996, 43–47.

[45] In den Textabschnitten wird zunächst der Herr um Vergebung gebeten und dem allmächtigen König gedankt. Sodann wird für „unseren (weltlichen) König“ („Pro rege nostro“) gebetet, dass der Herr ihn erhalte und er nicht in die Hände der Feinde gerate, und dass die Seelen der Gläubigen in Frieden ruhen mögen. Nach einem gesprochenen „Vater unser“ wird abschließend musikalisch zur Jungfrau Maria gebetet, die den Sohn des ewigen Vaters ausgetragen hat. Die vertonten Bitten an Gott, für den König und für Maria werden jeweils mit einem vierstimmig gesetzten „Amen“ abgeschlossen. Die Musik folgt in ihrer rhythmischen Gestaltung (in den zwei- wie in den vierstimmigen Abschnitten) genau der Textdeklamation (dazu Edwards 2011, 62 f.), die weitgehend homorhythmische, schlichte Satzweise ändert sich das gesamte Stück hindurch nicht, bleibt also für die drei Inhaltsbereiche gleich.


Empfohlene Zitierweise:
Birgit Lodes: „„Mehrfacher Sinn“: Jacob Obrechts Missa Salve diva parens und die Königskrönung Maximilians“, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich <https://musical-life.net/essays/mehrfacher-sinn-jacob-obrechts-missa-salve-diva-parens-und-die-konigskronung-maximilians> (2017).