You are here

Musik für den Konstanzer Reichstag 1507

Stefan Gasch

Dem vergleichsweise privaten Rahmen z. B. der Würdigung eines Geistlichen (vgl. Kap. Komponiertes Herrscherlob: Isaacs Motette Optime divino … pastor) standen logistische „Megaevents“ wie Reichstage gegenüber, bei denen Kaiser, Kurfürsten sowie andere hochrangige weltliche und geistliche Würdenträger mit Pomp und Gefolge in eine Bischofs- oder Reichsstadt einzogen (» D. Royal Entry), um – für die Zeit von Wochen, Monaten oder Jahren – die zukünftigen politischen Vorgehensweisen zu verhandeln. Die mitgeführten Trompeter fungierten hierbei als unverzichtbare klangliche Visitenkarte bei der Ankunft des jeweiligen Teilnehmers. Auch die von Reichstagsteilnehmern vorübergehend in den Dienst genommenen Musiker aus den Reihen der örtlichen Stadtpfeiferei und die in unterschiedlichen Größen mitreisenden Hofkapellen trugen zur Klangsphäre bei, die das Großereignis zu verschiedensten Gelegenheiten begleitete.

Um den Segen Gottes für die zu treffenden Entscheidungen zu erbitten, wurde der Reichstag in der Regel mit einem Heilig-Geist-Amt eröffnet. Hierbei spielten die Sänger des Kaisers eine zentrale Rolle. Auf dem Konstanzer Reichstag von 1507, auf dem u. a. wieder einmal die Kaiserkrönung Maximilians I. in Rom und die Reichsreform verhandelt werden sollten (» D. Kap. Zum Repertoire der Handschrift A-Wn Mus.Hs. 15495), dürften sie höchstwahrscheinlich Isaacs Motette Sancti Spiritus assit nobis gratia (Secunda pars: Imperii proceres) gesungen haben (» Abb. Maximilian I. im Dom zu Konstanz).[9] Mit dem eröffnenden Zitat aus der Pfingstsequenz wird im ersten Motettenteil der Hl. Geist um seinen Beistand angerufen und Maximilian – in sich wiederholenden Akkordfloskeln – dem allmächtigen Gott empfohlen. Der zweite Teil der Motette zählt hingegen die verschiedenen Reichstagsteilnehmer auf, die zur Eintracht und zum Gehorsam gegenüber Maximilian aufgefordert werden (etwa bei der Stelle „Pro Maximiliano psallite!“). Beide Abschnitte verwenden dieselben klanglich-musikalischen Stilmittel und sind weniger durch eine imitative Satzstruktur als vielmehr durch Tonrepetitionen und akkordische Deklamatorik in homorhythmischen Passagen geprägt, so dass eine majestätisch-festliche Klangwirkung entsteht, die sowohl dem zukünftigen Kaiser huldigte als auch dem Anlass der Feierlichkeit gerecht wurde.

 

Abb. Maximilian I. im Dom zu Konstanz

Abb. Maximilian I. im Dom zu Konstanz


Kaiser Maximilian I. die Messe hörend im Dom zu Konstanz, im Vordergrund die Hofkapelle. Diebold Schilling, Luzerner Chronik (1513), fol. 233v (S. 472). Abb. mit Genehmigung der Korporation Luzern.

Emperor Maximilian I. in Constance cathedral, listening to a Mass service, with the court chapel in the foregrund. The miniaturist places the choirbook in a central position and arranges the 13 musicians in a semicircle around it. The musical source is the pivotal item in the performance described here. Diebold Schilling, Luzerner Chronik (1513), fol. 233v (p. 472). Reproduction with permission of the corporation of Lucerne. 

 

Ein weiteres Ereignis auf diesem Reichstag, das entsprechend gewürdigt werden musste, waren die Exequien für Maximilians im Jahr zuvor unerwartet verstorbenen Sohn Philip, die wie in solchen Fällen üblich mit einem Seelamt (Requiem) und einer Marienmesse begangen wurden. Die Marienmesse wurde nachweislich sogar mit Posaunen und der vom kaiserlichen Hoforganisten Paul Hofhaimer gespielten Orgel begleitet.[10] Die engen musikalischen Verknüpfungen, die Isaacs außergewöhnlich prachtvolle Motette Virgo prudentissima (6v) (» Hörbsp. ♫ Virgo prudentissima) mit Isaacs gleichnamiger Messe aufweist, lassen vermuten, dass nicht nur die Motette in Konstanz komponiert wurde (der Vermerk „Isaac CONSTANTIÆ POSVIT“ findet sich in » CH-SGs Cod. Sang. 464[11], fol. 5v), sondern auch die prächtig konzipierte Messe im Rahmen dieses besonderen Anlasses zu sehen ist.[12] Interagieren in der Messe die als cantus firmus verarbeitete Marienantiphon Virgo prudentissima und der eigentliche Messtext musikalisch aufs Engste,[13] so wird in der Motette das besondere Verhältnis zwischen der Jungfrau Maria und König Maximilian I. auch durch den Text  hervorgehoben – als eine „Beziehung“, wie sie oftmals vom Kaiser inszeniert wurde und die sich auch ikonographisch widerspiegelt, etwa auf dem 1506 von Albrecht Dürer gemalten Rosenkranzfest (» Abb. Albrecht Dürer, Das Rosenkranzfest). Auf diesem Bild wird nämlich nicht nur die Krönung Mariens dargestellt, sondern auch die gleichzeitige Krönung Maximilians durch die Himmelskönigin, durch die der König seine Legitimation erhält.[14] Der Autor des bildreich humanistisch-antikisierenden und auf Vergil anspielenden Marientextes der Motette, der die Antiphon nur zu Beginn des Haupttextes zitiert, ist niemand anderes als der kaiserliche Hofkapellmeister Georg Slatkonia, der 1513 von Papst Leo X. zum ersten Bischof von Wien ernannt wurde und der möglicherweise auch für den Text von Optime divino … pastor (vgl. Kap. Komponiertes Herrscherlob: Isaacs Motette Optime divino … pastor) verantwortlich zeichnet. Maximilian wird darin sogar noch vor seiner offiziellen Proklamierung zum Kaiser durch Kardinal Matthäus Lang (Trient, 1508) mit den Worten „pro sacro imperio, pro Caesare Maximiliano“ als Kaiser angesprochen.[15]

 

 

Diese großen und für die Zeit außergewöhnlichen Werke Heinrich Isaacs, die die Bereiche Liturgie, Herrscherpanegyrik, Politik, Repräsentation und Machtdemonstration verbinden, sind also eng mit dem Konstanzer Reichstag verknüpft. Mit ihrer Monumentalisierung von Klang, überwältigenden Raumwirkungen und der Stilisierung des Habsburgerkaisers stellen sie Isaacs kompositorisches Können wie auch dessen Gespür für Maximilians Repräsentationsbedürfnisse eindrucksvoll unter Beweis und machen verständlich, warum Isaacs Musik auch noch Jahrzehnte nach dessen Tod nichts von ihrer Attraktivität eingebüßt hatte. (» I. Isaac’s Amazonas, Kap. „Hic maxime Ecclesiasticum ornavit cantum“).

[9] Für eine Rekonstruktion und Übersetzung des gesamten Motettentextes siehe Panagl 2004, 54. Für ein Digitalisat der Motette in » CH-Bu Ms. F IX 55, fol. 4v–7r: http://www.e-manuscripta.ch/bau/content/pageview/311300.

[10] Vgl. zum allgemeinen Hintergrund Haggh 2007, zur besonderen Gegebenheit in Konstanz Körndle 2007. Der Nachweis der Instrumentalbegleitung findet sich in einer Tegernseer Chronik (D-Mbs Clm 1586, fol. 429v–430r).

[11] Für ein Digitalisat der Motette Virgo prudentissima in » CH-SGs Cod. Sang. 464 siehe: http://www.e-codices.unifr.ch/en/csg/0464/5v/0.

[12] Die ältere Meinung, dass beide Werke für den 15. August 1507 bestimmt gewesen seien (Dunning 1970, 41) ist fragwürdig, da der Reichstag zu dieser Zeit bereits verabschiedet war. Siehe auch Rothenberg 2011.

[13] Körndle 2007, 96–101.

[14] Obwohl das Bild nicht von Maximilian, sondern von der deutschen Rosenkranzbruderschaft an der Kirche San Bartolomeo in Venedig in Auftrag gegeben worden war, zeigt es in seiner Bildkomposition zahlreiche Elemente von Maximilians Idealisierungsverständnis. Siehe dazu Rothenberg 2011, 78 ff.

[15] Siehe Wiesflecker 1971–1986Bd. 4, 1–27.