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Virgo prudentissima

Sopran 1: Susanne Ritter (Soli); Carola Nies; Sopran 2: Birgit Schönberger (Soli), Gabriele Steck; Alt: Klaus Wenk (Soli), Angelika Polland; Tenor 1: Andreas Hirnreiter (Soli), Wolfgang Witkowski (Intonationen), Franz Körndle; Tenor 2: Michael Wersin (Soli), Benedikt Schillo; Bass: Marcus Schmidl (Soli), Michael Mantaj; Leitung: Karl-Ludwig Nies
CH-SGs Cod. Sang. 464, fol. 2v–71r
Heinrich Isaac – virgo prudentissima
Christophorus 1999
mit freundlicher Genehmigung des Labels
Hans-Joachim Röhrs

Heinrich Isaacs sechsstimmige und durch ihre Länge von nahezu 300 Mensuren monumental anmutende Motette Virgo prudentissima ruft die neun Chöre der Engel und die Jungfrau Maria zum Schutz Kaiser Maximilian I. und des Heiligen Römischen Reiches an („pro sacro imperio pro Maximiliano“). Die Motette basiert auf der gleichnamigen Magnificat-Antiphon für das Fest Assumptio Mariae (15. August), doch erklang die für den Reichstag zu Konstanz (1507) komponierte Motette dort wahrscheinlich im Rahmen der Trauerfeierlichkeiten für den 1506 verstorbenen Sohn Maximilians, Philipp den Schönen. Vor allem in der prima pars schafft Isaac scharfe Kontraste zwischen rhythmisch komplexen Duetten und den massiven blockhaft-homophonen Passagen in voller Sechsstimmigkeit.

Der Text stammt wahrscheinlich von Georg Slatkonia, der als austriacae praesul regionis (Bischof der Region Österreich) genannt wird und inszeniert eine enge Beziehung zwischen Kaiser und Gottesmutter. Die marianische Ausrichtung wird allerdings später in dem von Hieronymus Formschneider 1538 in Nürnberg gedruckten Secundus tomus novis operi musicis (wie auch in von diesem Druck kopierten Quellen) zur Gänze eliminiert, sodass die als Christus Filius Dei textierte Motette nun eine christologische Umdeutung erfährt, indem zu Christus für den Schutz des neuen Kaisers, Karl V., gebetet wird.

Stefan Gasch