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Isaac als Schlüsselfigur: choralbasierte Propriums- und Ordinariumszyklen

Stefan Gasch

Zur Idee der Ideologisierung des Kaiserhauses,[2] die Maximilian in verschiedenen Projekten verfolgte, jedoch niemals abschloss, gehören auch Isaacs Proprienzyklen, die in ihrer Gesamtheit ein mehrstimmiges Graduale (ein Buch, das die wechselnden tagesspezifischen Gesänge der Messe enthält) für alle Gelegenheiten und Feste des Kirchenjahres am Kaiserhof darstellen sollten (» G. Henricus Isaac; » I. Isaac’s Amazonas).[3] Die erst mehr als 30 Jahre nach Isaacs Tod in drei Bänden als Coralis Constantinus in Nürnberg veröffentlichten Sätze umfassen Isaacs Vertonungen von Introitus, Alleluia bzw. Tractus, Sequenz und Communio.

Auch Isaacs 21 Choralordinarien – zyklische Messvertonungen auf der Grundlage der Choralmelodien der einzelnen Ordinariumsgesänge – zählen zu Maximilians neuem Ansatz von zeremonieller klanglicher Repräsentation. In mehrfacher Hinsicht sind sie für die Zeit um 1500 außergewöhnlich: Mit jeweils mehreren Vertonungen für drei bis sechs Stimmen decken sie nicht nur die verschiedenen Festgelegenheiten des Kirchenjahres ab (Hochfeste, Apostel-, Märtyrer-, Bekenner-, Jungfrauen-, Marienfeste, etc.), in ihrer Konzeption als Choralordinariumszyklen stellen sie auch die Monumentalisierung einer Gattung dar, die zunächst ein Nischendasein geführt hatte.[4] Zwar waren einzelne Messsätze, die über die zum jeweiligen Messsatz passenden Choralmelodien gebaut sind, bereits seit Anfang des 15. Jahrhunderts bekannt, doch brachte Isaac diese bislang wenig renommierte Form der Ordinariumsvertonung mit seiner systematischen Herangehensweise für die musikalische Inszenierung des täglichen Gottesdienstes des Kaiserhauses sowohl gattungsgeschichtlich als auch durch den Rückgriff auf die neuesten kompositorischen Trends stilistisch zu einer nie gekannten Blüte, so dass sie für die Habsburger eine repräsentative Funktion erlangte.

Anhand Isaacs sechsstimmig-klangvoller Missa paschalis (» D-Ju Ms. 36, fol. 141v–155r) seien einige Merkmale dieser Art der Vertonung eines Messordinariums gezeigt.[5] Wie nahezu in jeder liturgischen Musik der Zeit bildet auch hier der Choral den roten Faden, um den die polyphone Komposition gewoben ist. In diesem Fall ist es die erste gregorianische Choralmesse, die in der Liturgie nur am Ostersonntag und den Sonntagen nach Ostern (bis Pfingsten) verwendet wird (» Abb. Graduale Pataviense, Kyrie für Ostern). Isaac konzipierte diese Komposition – wie immer bei der Vertonung einstimmiger Ordinariumsmelodien – als Alternatimmesse, eine Aufführungspraxis, bei der die Abschnitte der gesungenen Mehrstimmigkeit entweder mit einstimmigen Choralgesängen oder aber mit improvisierten Orgelversetten abwechselten (» Hörbsp. ♫Kyrie Missa paschalis).[6] Die Ausführung mit Orgelimprovisationen, bei der der kaiserliche Organist Paul Hofhaimer (» C. Orgeln und Orgelmusik, Kap. Paul Hofhaimer) als weithin berühmter Improvisator mitwirkte, sind für den Kaiserhof gut belegt (etwa in der Bezeichnung von Messen „ad organum“ in der Wiener Handschrift » A-Wn Mus. Hs. 18745) und demonstrieren ein äußerst flexibles Miteinander von einstimmigem Choral und Polyphonie auf vokaler und instrumentaler Ebene sowie eine enge Verflechtung von vokal-instrumentalen Ressourcen in der liturgischen Hofmusik Maximilians I.

 

 

[2] Silver 2008.

[3] Zur Idee der Monumentalisierung des Kirchenjahres durch mehrstimmige Proprienvertonungen siehe Strohm 2011.

[4] Zu Isaacs Messen siehe generell Staehelin 1977.

[5] Für ein Digitalisat von Isaacs Missa paschalis in » D-Ju Ms. 36, fol. 141v–155r, siehe: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:urmel-1bb48d27-d632-4bb7-b381-36e0bae379018-00004515-2851.

[6] Mahrt 1969Mahrt 2011.