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Hl. Leopold

David Merlin

Im Jahr 1136 starb der babenbergische Markgraf Leopold III., Stifter von Klosterneuburg und Heiligenkreuz sowie Mitgründer von Kleinmariazell im Wienerwald. Nach einem langwierigen Kanonisationsprozess wurde er am 6. Januar 1485 heiliggesprochen. In der kurzen Zeitspanne zwischen ca. 1484 und 1487 wurden für die Liturgie zu Ehren Leopolds drei vollständige Offizien und acht Gesänge für das Proprium Missae erschaffen,[59] darunter zwei Sequenzen.[60] Die Melodien dazu wurden gleichzeitig oder bis spätestens Anfang des 16. Jahrhunderts komponiert. Es wurden überdies vier Hymnen gedichtet;[61] für zwei davon sind auch die Melodien überliefert.[62] Zudem ist noch der Tropus Largus erat olim zu erwähnen (vgl. Kap. Das Alleluja Christe nate patris).

Wie einem Brief des Klosterneuburger Priors List vom 20. November 1484 zu entnehmen ist, war das Offizium Ecclesia sancta bereits vor der Heiligsprechung vollendet[63] – zumindest die Texte davon. Die älteste notierte Quelle dafür ist eine Handschrift im Chorformat der Stiftsbibliothek von Klosterneuburg (» A-KN Cod. 59, fol. 1r–8v). Sie stammt aus den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts.[64] In der Diözese Passau setzte 1487 die Feier des Leopoldi-Festes (15.11.) mit dem Offizium Austria laetare ein.[65] Die älteste Quelle ist die in der Benediktinerabtei zu Melk aufbewahrte Handschrift » A-M Cod. 937 (S. [!] 147–161), die explizit mit 1487 datiert ist. Die älteste Quelle mit musikalischer Notation stammt von ca. 1490; bemerkenswerterweise ist sie ein Druckwerk: » Incipit hystoria de sancto Leopoldo (» Abb. Gedruckte liturgische Formulare zu Leopold).[66] Auch das erste Zeugnis des Offiziums Virga directionis[67] sowie der Melodien für die Messe befinden sich in der Handschrift A-M 937 (S. 165–181 bzw. 181–192).[68] Rudolf Reiner unterscheidet zwei verschiedene Fassungen dieses Offiziums: eine „von Melk-Passau“, mit langen Lesungen für die Matutin, und jene „von Klosterneuburg“ mit kurzen Lesungen.[69] Erstgenannte kennt für die erste Vesper nur die Antiphon A solis ortu. Alle Leopold-Offizien sind nach dem cursus Romanum der Liturgie aufgebaut. Ecclesia sancta und Austria laetare weisen eine modale Anordnung der Gesänge auf: die Abfolge der verwendeten Modi spiegelt die Reihenfolge des Oktoechos wider.[70]

Es ist durchaus möglich, dass zwischen 1487 und 1506 jemand, der die Vesper zu Ehren des hl. Leopold einer Ortschaft auf dem Land – wie z. B. Kirnberg an der Mank in Niederösterreich[71]  – (und auch in Wien?) besuchte, eine andere musikalische Aufführung hörte, wie jemand, der am selben Tag nach Klosterneuburg gepilgert war. Zum selben Anlass erlebten die Gläubigen in der Stiftskirche zu Melk wiederum stets eine unterschiedliche Fassung.

Ähnlich ist es teilweise auch innerhalb der Messe geschehen. Je zwei verschiedene Alleluja sowie Sequenzen sind bereits in der mit 1487 datierten Handschrift A-M 937 überliefert. Diese vier Gesänge sind auch im Wiegendruck Incipit hystoria de sancto Leopoldo (» Abb. Gedruckte liturgische Formulare zu Leopold) zu finden.

[59] Dazu kommt noch ein Allelujavers, der ohne Notation überliefert ist.

[60] Die Texte der Sequenzen wurden in den AH ediert: Lux est orta populo (AH 9; Nr. 281); Regem regum veneremur (AH 8; Nr. 222). In Lux est orta populo bildet sich das Achrostikon LEOPOLDVS sowohl mit den Anfangsbuchstaben der ersten Wörter der 1. Strophe, als auch mit den Anfangsbuchstaben der Strophen.

[61] Die Texte wurden in den AH ediert: Austriae decus princeps (AH 4; Nr. 333); Aurora rubens fugat (AH 4; Nr. 334); Lux visa per caliginem (AH 4; Nr. 335); Da fabricator noctis (AH 4; Nr. 336).

[62] Edition von Austriae decus princeps in Stäblein 1956, 331, Nr. 603. Lux visa per caliginem befindet sich mit Notation in den Handschriften » A-M Cod. 937 und » A-KN Cod. 62. Mit einer unterschiedlichen Melodie steht sie im Druck » Incipit hystoria de sancto Leopoldo (Passau: Petri 1490) (» Abb. Gedruckte liturgische Formulare zu Leopold). Zur Handschrift » A-KN Cod. 62 siehe Haidinger 1983, 109 ff.

[63] Vgl. Reiner 1957; 2. Text ediert in Reiner 1957, 8–13.

[64] Beschreibung in Haidinger 1983, 104 ff.

[65] Vgl. Reiner 1957; 3. Text ediert in Reiner 1957, 13–24.

[66] Faksimile von Austria laetare aus der um ca. 10 Jahre jüngeren Handschrift » A-KN Cod. 59, fol. 9r–16r, in Zagiba 1954, Tafel 30–44.

[67] Text ediert in Reiner 1957, 25–32.

[68] Faksimile-Ausgabe in Zagiba 1954, Tafel 2–29.

[69] Vgl. Reiner 1957, 4.

[70] Zu diesem Aspekt siehe Merlin 2012a, 346–353.

[71] Vgl. » A-Wda Cod. 11 und » A-Wda Cod. 10 in Kam, Lap-Kwan: Die Offiziumsgesänge im spätmittelalterlichen Österreich in der Überlieferung des Antiphonale Pataviensis D-4/C-11/C-10 der Kirnberger Bibliothek der Wiener Dompropstei. Inventar und Kommentar, Dissertation, Universität Wien 2000, 110. Für das Vollinventar dieser Handschriften siehe: http://cantusdatabase.org/.