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Pommer

Gesine Bänfer
Gesine Bänfer
T'andernaken
In den 1480er Jahren schrieb der flämische Musiktheoretiker Johannes Tinctoris in Neapel, dass „die Schalmeispieler verschiedene Instrumentengrößen verwenden: manche sind hoch, geeignet für Oberstimmen, andere sind tief, für mittlere und tiefe Stimmen. Daher werden die Schalmeien, wie die Stimmen selbst, als suprema, tenor (gemeinhin auch „bombard“) und contratenor bezeichnet.“

Der Pommer (auch Pumhard, englisch bombard, französisch bombarde) ist ein tiefes Mitglied der Schalmeienfamilie (» Schalmei). Der früheste Beleg für den Instrumentennamen stammt aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Die Aufzeichnungen des burgundischen Hofs im frühen 15. Jahrhundert werden konkreter: ein Eintrag von 1421 bezieht sich auf einen „bombarde à clef“ – „mit einer Taste“. Der Pommer war das erste Instrument, bei dem diese technologisch fortschrittliche Vorrichtung eingesetzt wurde – eine einfache Taste wurde so angebracht, dass sie die Reichweite des kleinen Fingers der unten liegenden Hand so verlängerte, dass die tiefen Töne mittels einer Klappe gespielt werden konnten. Die untere Hälfte der Taste wurde durch eine Manschette – Fontanelle genannt – verborgen und geschützt, die mit Schalllöchern übersät war. Infolge der sich daraus ergebenden Neuanordnung der Griff- und Schalllöcher ist der Pommer nur um wenige Zentimeter länger als die Schalmei, so dass die An- oder Abwesenheit der Fontanelle das optische Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen den beiden Instrumententypen ist. Da kein Instrument aus der Zeit vor dem 16. Jahrhundert erhalten ist, ist es ein Glücksfall, dass die Blütezeit des Pommers im 15. Jahrhundert mit der außerordentlichen Beliebtheit für die Symbolik des lauten Bläserensembles in den zeitgenössischen Abbildungen zusammenfällt. Dort ist der Pommer fast durchgehend in Verbindung mit Schalmei und sehr oft mit » Zugtrompete zu finden, eine Besetzung, die heutzutage als „Alta Capella“ bekannt ist.

Erhaltene Schalmeien und Pommern sind auffällig einheitlich in ihrer Größe und die Grundtöne der beiden Instrumente stehen in der Regel eine Quinte auseinander. Das entspricht dem üblichen Stimmabstand zwischen Cantus und Tenor in der mehrstimmigen Musik des 15. Jahrhunderts und bestärkt Tinctoris‘ eingans zitierte Ausführung. Die Kombination von Schalmei und Pommer ist das früheste Beispiel in der Musikgeschichte, bei dem zwei unterschiedliche Größen desselben Instrumententyps regulär zusammen gespielt wurden. Laute Ensembles aus Schalmei, Pommer und Zugtrompete wurden zunächst vom Adel, später auch zunehmend von den Städten als „Stadtpfeifer“ (englisch „wait“) in ganz Europa fest angestellt. Diese Alta Capella-Ensembles, die zugleich laute und kunstvolle Musik spielten, erfüllten  wichtige repräsentative Funktionen für die neuerdings erstarkten und miteinander konkurrierenden Stadtstaaten.
 
1526 gibt es den ersten Hinweis auf einen neuartigen „Bass“-Pommer, der eine Quinte tiefer als das Standardinstrument gestimmt war, und aus den 1540ern ist ein Instrument bekannt, das noch eine Quinte darunter stand. Infolge dieser neuen Erfindungen änderte sich auch die Instrumentenbezeichnung: Der ursprüngliche „Tenorpommer“ wurde zum „Alt“, der „Bass“ wurde zum „Tenor“ und das neue Instrument zum „Bass“. Die zwei größten Formen waren aber dem Anschein nach nie so beliebt und verbreitet wie die originale Schalmei und der ursprüngliche Pommer, die beide bis zum Ende des 17. Jahrhunderts weiter verwendet wurden, während die unteren Stimmen in den lauten Ensemblebesetzungen meist von frühen Posaunenformen und Dulcianen übernommen wurden. Der Altpommer wurde oft in Ensembles ohne Schalmei eingesetzt, wo die Oberstimmen vom » Zink übernommen wurden.
Ian Harrison & Marc Lewon

Referenzen

Hörbeispiele