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Die Tradition der Joyeuses entrées (festlichen Einzüge)

Margret Scharrer

Als Joyeuses entrées[1] werden zumeist Ersteinzüge bezeichnet, die ein Fürst oder eine Fürstin nach der Regierungsübernahme bzw. einer Standeserhöhung in den von ihnen beherrschten Territorien vollzog. Es handelte sich dabei um Rituale, die nach Volljährigkeitserklärungen und den damit einhergehenden Regierungsantritten, nach Königs- und Kaiserkrönungen, Übernahmen von Statthalterschaften oder Hochzeiten stattfanden. Zu den herausragenden spätmittelalterlichen Einzugsfesten in den niederländischen Reichsteilen – weil erstmals im großen Stil auch bildlich dokumentiert – gehören der Brautempfang Johannas I. von Kastilien, Gemahlin Philipps des Schönen, in Brüssel 1496 sowie der Einzug Erzherzog Karls, des zukünftigen römisch-deutschen Königs und Kaisers, anlässlich seiner Majorennität 1515 in Brügge (siehe Abb. Erzherzog Karl vor Brügge, 1515; » D. Kap. Gedrucktes mehrstimmiges Herrscher- und Marienlob). Doch nicht nur Johanna und Karl, sondern auch Maximilian I. und dessen Kinder Philipp und Margarete wurden von den niederländischen Untertanen durch prächtige Joyeuses entrées willkommen geheißen (» D. Music for a Royal Entry, » I. Kap. The arrival of Bianca Maria Sforza).[2]

Die Habsburger Herrscher und Herrscherinnen erfuhren dieses Ritual während ihrer Lebens- und Regierungszeit zumeist mehrfach. So lassen sich etwa für Maximilian ganze Serien von Joyeuses entrées nach folgenden Lebensstationen ausmachen: seiner Eheschließung mit Maria von Burgund (1477), der Übernahme der Vormundschaft für seinen Sohn Philipp nach dem Tod seiner Gemahlin Maria (1482), seinen Krönungen zum römisch-deutschen König (1486) und Kaiser (1508).

Der burgundische Chronist Jean Molinet beschreibt Maximilians Einzugsserie in den niederen Landen nach seiner Krönung zum römisch-deutschen König 1486 in Aachen, die er teils in Begleitung seines Vaters Friedrich III. und seines Sohnes Philipp unternahm (» D. Kap. Kaiser Friedrich III. und Erzherzog Maximilian 1485/86: Wiedersehen – Königswahl – Reise in die Niederlande). Er berichtet, auf die Vorbereitungen seien besondere Mühen verwendet worden, da es für die Städte ein Novum bedeutet habe, „einen König als Herrn“ zu empfangen. In Brüssel – in das er am 10. Juli zuerst allein einzog[3] – begrüßte ihn die Bevölkerung mit einem umfangreichen Festprogramm: „Zwischen vierzig und fünfzig biblische Geschichten und Moralitäten“ seien dort zu sehen und ephemere Festarchitekturen in Form von Triumphtoren an allen Eingangsseiten des Marktplatzes errichtet, Häuser, Straßen und Plätze mit wertvollen Tüchern und Tapisserien geschmückt worden. Mit besonderem Nachdruck kommt Molinet auf die Illuminationen zu sprechen, die nicht nur während des Einzugs, sondern in den darauffolgenden sechs bis sieben Nächten den Brüsseler Marktplatz in taghelles Licht tauchten. Die unterschiedlichsten festlichen Freuden hätten sich während der mehrtägigen Festzeit in der Tat sogar noch um ein Vielfaches gesteigert, erklärt er.[4]

Neben der besonderen Form der Ersteinzüge existierten allerdings noch unterschiedlichste andere Arten von prozessionsartigen Einzugsritualen, die jedoch normalerweise nicht als Joyeuses entrées bezeichnet werden. Zu diesen gehören etwa jegliche Empfangsrituale im Alltagsgeschehen, wie sie durch die ständige Reisetätigkeit der Herrschenden an der Tagesordnung waren, sowie herausgehobene Empfänge anlässlich von militärischen Triumphen, Herrschertreffen bzw. Reichstagen sowie weitere politische und diplomatische Zusammenkünfte. Sie alle besitzen eine lange Tradition, deren Ursprünge sich bis in die Antike zurückverfolgen lassen. Antike, mythologische und biblische Vorstellungen wirkten dabei gleichermaßen an der Idee der Joyeuse entrée mit und prägten entscheidend das Verständnis und den Ablauf der Rituale.

Ersteinzüge vollzogen jedoch nicht nur weltliche Herrscher und Herrscherinnen; auch Päpste, Bischöfe, Äbte und Gesandte (weltlich und geistlich) wurden nach ihren Amtseinsetzungen durch besondere Ankunftsrituale geehrt. Unabhängig vom Stand der jeweiligen Würdenträger fanden diese Entrées – also auch diejenigen hochstehender weltlicher Fürsten und Fürstinnen – genauso in Burgen und Klöstern statt.[5] Jedoch sind diese Einzugsräume weit weniger erforscht[6] als die städtischen. Der vorliegende Beitrag behandelt deshalb Ersteinzüge von Mitgliedern der Habsburger Dynastie in niederländischen Städten, zumal die Bezeichnung und der besondere Zuschnitt der Festform der Joyeuse entrée vor allem in diesen Reichsteilen geläufig war.

Auch wenn die Arten der Festinszenierungen von Einzugsritualen je nach Region und Tradition sehr unterschiedlich ausfielen, so funktionierten diese generell nach einem sich wiederholenden Schema, das je nach regionalen und okkasionellen Bedingungen kleinere oder größere Variationen erfuhr. Dieses gestaltete sich folgendermaßen: Vorbereitungsphase vor Überschreiten der Territoriumsgrenze, Annäherung des Gefolges von Souverän oder Souveränin an die Stadt, Einholung und Begrüßung durch die städtischen Honoratioren wie die verschiedenen geistlichen Abgesandten (occursus), bei Ersteinzügen nach der Regierungsübernahme Huldigungszeremonien und Überreichung der Schlüssel der Stadt, Durchschreiten des Stadttors (ingressus), Prozession des herrscherlichen Gefolges durch festlich geschmückte Straßen (processio) entlang einer festgelegten Strecke, vorbei an entscheidenden politischen und geistlichen Wahrzeichen der Stadt bis zum fürstlichen Palais oder einem anderen repräsentativen Bau, in dem Hofstaat und Gefolge unterkamen, Besuch der Messe in der örtlichen Haupt- oder Residenzkirche (offertorium), anschließend Ankunft und Einzug in eine standesgemäße Unterkunft.[7]

[1] Weitere Bezeichnungen sind: „Blijde intrede“ bzw. „Blijde inkomst“, „Adventus“, „Introitus“, „Ingressus“ oder „Einreyttung“. Siehe dazu Rudolph 2005, 318.

[2] Dazu u.a. ausführlich Eichberger 1988, 47–54, 57f.; 2005; Cauchies 1994; Tammen 2008; 2011 und 2019.

[3] Kurz danach, am 21. Juli 1486, vollzog Maximilian gemeinsam mit Friedrich III. und Sohn Philipp einen weiteren feierlichen Einzug in Brüssel. Zur Einzugsserie siehe u.a. Gachard 1876, Bd. 1, 109–111 sowie die folgende Anmerkung.

[4] Siehe Kap. CXLVIII in Molinets Chroniques, Buchon 1828, Bd. 3, 93–99.

[6] Chronisten erwähnen vor allem städtische Einzüge.

[7] Siehe zu diesem Modell stellvertretend Hurlbut 1990, 36-37; Kipling 1998, 176–181; Schenk 2003, 238–242; Rudolph 2005, 319.