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Die Stadt als Wehrgemeinschaft

Aneta Bialecka
Gebrauchte Waffen, darunter etwa türkische Pfeile oder veraltete Rüstungen, gehörten zu den meistgespendeten Objekten für die Wiener Fronleichnamsspiele. Sowohl Wilhelm Rollinger wie auch Matthäus Heuperger überließen der Einrichtung 1504 Waffen und Harnische.[14] 1506 spendeten Caspar Zärtl, Wolfgang Pacher und Hanns Tenndler Harnischteile.[15] Der Plattner Meister Hans Sichlpain und seine Gesellen wurden regelmäßig für Reparatur- und Reinigungsarbeiten entlohnt.

Betrachtet man die zahlenmäßige Beteiligung Bewaffneter an der Fronleichnamsprozession von 1516, so betrug die Anzahl der Berittenen 52 und der Fußknechte 72 Personen, wobei die Rotte der Synagoge 73 und jene der „her gott zuegehörung“ 88 Spieler umfasste.[16] Rechnet man hinzu die etwa 100 bewaffneten und reitenden Mitglieder der Bruderschaft, so ergibt dies die relative Gesamtzahl von 382 Beteiligten, darunter 224 Bewaffneten, die Christus am Kreuzweg begleiteten.

Die Wiener Fronleichnamsspiele zeichnet also eine explizite Betonung der Passionsgeschichte Christi in einem militärischen Kontext aus. Diese Tendenz wird umso deutlicher, betrachtet man das Archivmaterial der Freiburger Fronleichnamsspiele[17] oder des Zerbster Prozessionsspiels.[18]  Beide  verbindet die für die Form typische weite heilsgeschichtliche Perspektive, die das gesamte Repertoire von der Schöpfung bis zum Jüngsten Tag vereint.

Den entscheidenden Impuls für die Ausrichtung der Wiener Fronleichnamsspiele gaben die Gefahr eines osmanischen Angriffes und schließlich die Eroberung Belgrads 1521 durch Sultan Süleyman I. Die Bedrohung durch das Osmanische Reich war stets in der Passionsgeschichte der Fronleichnamsprozession präsent, schon allein durch die Verwendung ungarischer, serbischer und türkischer Requisiten, vor allem veralteter Harnische, diverser Rüstungsensembles und Waffen. Heuperger schenkte der Bruderschaft 1504 einige türkische Harnische und Pfeile. Im Inventarverzeichnis von 1512 erscheinen ebenfalls serbische Kleidungsstücke, Stiefel und sogar Perücken samt Bärten.

In der Krisensituation eines drohenden osmanischen Angriffes hatte die Präsenz gerade jener Schenkungen, die einen militärischen Charakter aufweisen, eine besondere politische und religiöse Intensität. Denn die eingebrachten Spenden, wenn sie auch primär einen Gewinn im Jenseits versprachen, waren doch Ausdruck der aktuellen Tagespolitik. Wie die von den Handwerkern und Kaufleuten gespendeten Waffen symbolisch die Pflicht des Kampfes gegen die Heiden evozierten, so galt der von Wolfgang von Polheim, dem engen Vertrauten Maximilians I., geschenkte rote Mantel als Bekenntnis zur Verteidigung der christlichen Religion. Die Realpräsenz Christi in der konsekrierten Hostie des Fronleichnamsfestes intensivierte visuell diese Pflicht.

[14] Vgl. Neumann 1987, 704, Exzerpte 2818-2819.

[15] Vgl. Neumann 1987, 709-710, Exzerpte 2850-2852.

[16] Vgl. Neumann 1987, 734, Exzerpt 3026.

[17] Vgl. Neumann 1987, 337-338, Exzerpt 1564.

[18] Vgl. Reupke 1930, 61.