Sie sind hier

Untarnslaf - Das kchúhorn

Els Janssens-Vanmunster (Cantus), Raitis Grigalis (Tenor)
  • Gesang
Salzburg, um 1455/56
A-Wn Cod. 2856, fol. 187r-v & fol. 198v-199v
Argentum et Aurum. Musical Treasures from the Early Habsburg Renaissance
Naxos 2015
eingespielt im Auftrag des FWF-Projekts ,Musikleben’
Michaela Wiesbeck

Die Rubrik zu diesem Lied lautet „Das kchúhorn“ und enthält darunter eine Worterklärung: „vntarn ist gewonlich reden ze Salzburg vnd bedeútt so man izzet nach mittem tag úber ain stund oder zwo“ („Untarn“ ist ein in Salzburg gebräuchlicher Ausdruck; er bedeutet die Essenszeit zwischen ein und zwei Uhr nachmittags.). Das Lied besteht aus zwei parallel gebauten, dreistrophigen Liedtexten, die auf die gleiche Melodie – die Imitation eines Hornsignals – gesetzt wurden. Anspielungen auf Instrumentalklänge waren in der vokalen Polyphonie um 1400 beliebt. Während der erste Text – dem „Erzähler“ zugedacht – mit geringerer Silbenzahl nur auf Semibreven und Breven notiert wurde, ist der zweite Text – ein Gespräch zwischen Knecht und Magd – einer Diminution der Melodie im Referenzrhythmus unterlegt. Aus der Aufzeichnung ist nicht eindeutig auf die beabsichtigte Performanz zu schließen. Neben der Möglichkeit, beide Texte nacheinander zu singen, ist es aber auch denkbar, dass beide Texte zusammen erklingen sollten, um eine verballhornte Tageliedsituation zu imaginieren: Der Text des Erzählers erklingt dadurch langsam vorgetragen gleichzeitig zum Zwiegespräch zwischen den beiden Liebenden, die sich nach heimlich miteinander verbrachter Nachmittagsruhe trennen müssen.

Auf zwei Gesangslagen verteilt (Männer- und Frauenstimme) ergeben sich dadurch rudimentäre Anklänge an die Gattung der Motette. Der Mönch von Salzburg knüpft mit dieser quasi-heterophonen „Pseudo-“ oder „Bauern-Motette“ an die Tradition der Pastourellen und der Neidharte an, in denen man sich eine stilisierte bäurische Welt in adlige Kreise holte. Dementsprechend ist das hier imitierte Instrument nicht eine noble Trompete, sondern ein ländliches Kuhhorn.

Die „Repeticio“ ist in der Handschrift nur einmal am Ende notiert und könnte entweder als „Geleit“ (Deutung von Christoph März) oder als „Refrain“ (Deutung von Michael Korth) interpretiert werden.

Marc Lewon