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O Maria pya

Raitis Grigalis (Gesang), Baptiste Romain (Vielle), Marc Lewon (Vielle; Leitung)
Mitte 15. Jh.
D-KA Cod. Donaueschingen 120, fol. 38r-39r
Hör, kristenhait! Sacred Songs by the Last of the Minnesingers. Oswald von Wolkenstein - Der Mönch von Salzburg et al.
Christophorus 2015
mit freundlicher Genehmigung des Labels
Johannes Kammann

Offenbar ist dieses lateinische, geistliche Lied eine Kontrafaktur des Mönchs von Salzburg (G 9; vgl. » B. Geistliche Lieder des Mönchs von Salzburg) über ein deutsches Lied des Sangspruchdichters Peter von Sachsen mit dem Incipit „Maria gnuchtig, zuchtig“. (» Notenbsp. Maria gnuchtig / O Maria pya). Die Rubriken der Kolmarer und Donaueschinger Liederhandschriften (D-Mbs Cgm 4997D-KA Cod. Donaueschingen 120, S. 216-219 – spätes 15. Jh.) erläutern dazu: „Als her peter von sahsen dem münch vo[n] salzburg dýß vorgeschriben par schicket da schicket er yme dyß nachgende Latynysch par her wyder vmb in dem selben tone“ (das Bar = mehrstrophiges Lied, ton = spezifischer Versbau des Liedes). Der lateinische Text steht im Anschluss an das deutsche Vorbild, das zugleich die rhythmuslose Notation enthält. In der Kolmarer Liederhandschrift steht noch ein dritter Text auf die gleiche Melodie: „Man sicht Leuber teuber“, das sich auch in der Sterzinger Miszellaneenhandschrift (I-VIP o. Sign., fol. 35v-36r) mit leicht abweichender Melodie und einem weiteren lateinischen Text („Jam en trena plena“) findet (» Abb. Iam en trena / Man siht läwber; » Notenbsp. Iam en trena / Man siht läwber). Die Melodie stammt nach Gisela Kornrumpf schon aus dem frühen 14. Jahrhundert und war ursprünglich weltlich (» B. Traditionsbildungen des Liedes, Kap. Ton und Kontrafaktur: der Barantton).

Der hier erstmals eingespielte Text ist ein blumiges Loblied an die Heilige Jungfrau mit einer Aufzählung zahlreicher Beinamen Marias und der Bitte um Beistand für die Gläubigen. In der vorliegenden Fassung wird die Gesangsstimme durch zwei Vielles (Fideln) begleitet. Die Quelle gibt, wie immer, keine Angaben zu einer möglichen Begleitung. Diese ist eine historisch informierte Zutat des Ensembles. Sie unterstützt die Modalität der einstimmigen Melodie und enthält Elemente aus zeitgenössischen, mehrstimmigen Improvisationspraktiken, namentlich dem Fauxbourdon (Parallelführung in imperfekten Intervallen).

Link zum Scan der Handschrift (Donaueschingen).

 

Marc Lewon